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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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konnte, schrieb sie auf einen kleinen karierten Block und übertrug die Sätze später. Manchmal schrieb sie nichts auf. Und dachte bloß alles. So wie jetzt. Am Fluss. An einem Nachmittag. Im gemeinen November.
    Ein junges Paar ging vorüber.
    »Hallo«, sagte die Frau.
    »Hallo«, sagte Ariane. Und sah den beiden hinterher. Sie berührten einander an den Armen. Ariane streichelte sich die Schulter.

    In dieser Nacht rauchte Niklas Schilff eine Packung Zigaretten. Und trank drei weitere Wodka Tonic, bevor er beschloss, auf Bier umzusteigen.
    In diesem Moment hatte er die seltsame Vorstellung, dies sei sein erster freier Entschluss seit langer Zeit.
    »Ein Bier bitte.«
    Iris wischte mit einem Geschirrtuch über den Tresen.
    »Sind Sie sicher?«, fragte sie.
    Er nickte. Und hatte plötzlich einen heiteren Gesichtsausdruck.
    Aus ihrer Erfahrung, die nicht nur aus der Gastronomie stammte, wusste Iris, dass Männer, deren Stimmung von einer Sekunde zur anderen umschlug, ein schwelendes Geheimnis hatten. Und so banal dieses Geheimnis auch sein mochte, für andere konnte es zu einer Bedrohung werden, wenn die falschen Worte fielen. »Geht aufs Haus.«
    »Okay«, sagte Schilff. Im billigen Licht sahen seine Wangen steingrau aus. Die dünnen Haare klebten ihm am Kopf. Seine dunklen Augen wirkten wie eingegraben. Und die Haut schien an einigen Stellen aufzuplatzen.
    »Zum Wohl.« Iris stellte ihm das Bierglas hin. »Ich hätt noch Gulaschsuppe im Topf, von gestern, hab ich selber gemacht, wollen Sie einen Teller?«
    Schilff trank. Und antwortete nicht. Iris hielt es für besser, in der Nähe zu bleiben. Außer ihm waren jetzt, kurz nach halb eins, nur noch Rudi und Toni im Lokal. Die hockten in der Ecke unter dem Fernseher und redeten über ihre Arbeit. Sie fuhren Bier aus. Wenn ihre Gläser leer waren, brachte ihnen Iris unaufgefordert Nachschub.
    »Was will’n der?«, raunte Toni ihr zu.
    Sie zuckte mit den Achseln. Ging zurück zum Tresen. Und sah, dass Schilff sein Bier schon fast ausgetrunken hatte.
    »Ich glaub, ich ruf noch mal bei ihr an.«
    Schilff reagierte nicht. Sie ging in die kleine Küche. Nahm ihr Handy und wählte Arianes Nummer. Nichts. Dann rief sie im Dezernat 11 an.
    Kaum stand sie wieder hinter der Theke, gab Schilff grunzende Laute von sich. Und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen.
    »Wenn ich schreib, dann implodiert die Wirklichkeit, verstehst du das?«, schrie er. Toni und Rudi hoben den Kopf. Im Gegensatz zu ihrer Wirtin waren sie zu bebiert, um ernsthaft zu erschrecken.
    »Diese Leute haben überhaupt nicht kapiert, was ich sagen will.« Er brüllte Iris ins Gesicht.
    Mit irgendetwas hatte sie gerechnet. Jetzt zitterten ihr die Hände. Diese Stimme ohrfeigte sie. Und mehr als das erschreckte sie die Verwandlung seines Gesichts. Aus der teigigen Masse trat ein zweites, härteres, kälteres Gesicht hervor. Mit Konturen wie dünne elektrische Drähte. Blaustichige Adern. Vibrierende Knochen. Und aus einer schwarzen riesigen Öffnung fauchte eine Stimme, als wäre sie jahrelang ans Schweigen gekettet gewesen.
    Nie zuvor hatte Iris Frost einen Menschen so schreien hören.
    »Die halten mich für einen Lügner. Dieselben, die mich jahrelang für ein gerissenes Schwein gehalten haben, halten mich heute für einen Lügner. Aber ich bin kein Lügner. Ich bin kein Lügner.«
    Der Barhocker kippte um. Iris knetete das Geschirrtuch in den Händen.
    »Was ich geschrieben hab, ist nicht erfunden, das ist Kunst, was ich gemacht hab. Und niemand niemand niemand hat diese Kunst vor mir gewagt. Die waren alle zu klein dazu, die haben alle bloß in Schienen gedacht, da lang, da lang, da darf man, da darf man nicht. Aber man darf überallhin. Da gibt’s keine Vorschriften, was jemand vorschreibt, ist von vornherein falsch. Von vornherein. Das ist Lüge, wenn jemand hergeht und sagt: Mach das so, setz dich da hin, sag das, sag das nicht, frag das, frag das nicht, sonst fliegst du aus dem Zimmer. Die andern haben sich aus dem Zimmer werfen lassen, die lassen sich jeden Tag aus einem Zimmer werfen. Erst gehen sie rein, nicken und machen Diener und legen ihre Zettel brav hin und stellen ihre Kameras auf und holen ihren Recorder raus, alles brav, alles nett. Und dann stellen sie eine Frage, und die Frage passt dem Vorschreiber nicht, und der tritt dann vor, mitten ins Bild und blafft ins Mikrofon, jetzt ist Schluss, das war nicht abgesprochen, raus hier. Und was passiert? Die packen ihr Zeug und hauen ab. Lassen

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