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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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wurde.
    Er wollte seinen Kummer und seine Verzweiflung auf Video gebannt haben, damit die ganze Welt es sehen konnte.
    Jetzt fühlte er sich ausgelaugt, leer. Seine Hände auf dem lederbezogenen Steuerrad zitterten. Das Herz, das schneller, immer schneller klopfte, schnürte ihm die Kehle zu, bis er das Gefühl hatte, er könne nicht mehr atmen. Irgendwo in der Ferne flog ein Hubschrauber über die Dächer. Josh. Josh. Josh.
    Er sprang aus dem Wagen, ging um die Haube von Hannahs Van herum und dann die Treppe hoch in den Wirtschaftsraum.
    Die Küchenlichter waren an. Ein Fremder saß verschlafen am Tisch in der Frühstücksnische, blätterte in einer Illustrierten und trank Kaffee aus einer riesigen Steinguttasse vom Renaissance-Festival. Als Paul eintrat und sich seinen Daunenmantel abstreifte, richtete er sich auf.
    »Curt McCaskill, BCA.« Er unterdrückte ein Gähnen und
    zeigte ihm seinen Ausweis.
    Paul beugte sich über den Tisch und sah ihn genau an; dann warf er dem Agent einen mißtrauischen Blick zu, als zweifle er an seiner Identität. Seine blutunterlaufenen Augen waren 127
    ursprünglich blau, die Haare dicht und rot. Er trug einen bunten Pullover, der aussah wie ein Testbild im Fernsehen.
    »Und Sie sind …?« sagte der Agent.
    »Paul Kirkwood. Ich wohne hier. Das ist mein Tisch, an dem Sie sitzen, mein Kaffee, den Sie trinken, mein Sohn, den Ihre Kollegen suchen sollten, aber dazu zu faul sind.«
    McCaskill runzelte die Stirn, erhob sich und reichte Paul die Hand. »Das mit Ihrem Sohn tut mir leid, Mr. Kirkwood. Sie haben die Suche für heute nacht eingestellt?«
    Paul ging zu einem Schrank, holte sich eine Tasse und
    schenkte sich Kaffee aus dem Topf auf der Warmhalteplatte ein.
    Er war bitter und stark, und brannte in seinem Magen wie Altöl.
    »Überlassen meinen Sohn einfach Gott weiß was für einem Schicksal«, schnaufte er.
    »Manchmal ist es besser, sich neu zu gruppieren und von vorne anzufangen«, sagte McCaskill.
    Paul starrte auf das Muster des Linoleumbodens. »Und
    manchmal kommen sie zu spät.«
    Die Stille wurde vom Kühlschrank unterbrochen, der zu
    summen begann, es knatterte in der Eismaschine.
    Josh. Josh. Josh.
    »Also, ich bin hier, um die Telefone zu überwachen«, erklärte ihm McCaskill zur Ablenkung. »Alle Anrufe werden
    aufgezeichnet, für den Fall, daß der Kidnapper eine
    Lösegeldforderung vorbringt. Und dann können wir den Anruf zurückverfolgen.«
    Kirkwood hatte scheinbar kein Interesse an der Technik. Er starrte eine weitere Minute auf den Boden, dann hob er den Kopf. Er sah aus wie ein Junkie, der eine Dröhnung braucht.
    Seine Augen waren rotgerändert, das Gesicht eingefallen, aschfahl. Seine Hand zitterte, als er die Tasse auf dem Tresen absetzte. Armer Kerl.
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    »Warum duschen Sie nicht möglichst heiß, Mr. Kirkwood?
    Dann ruhen Sie sich aus. Ich werde Sie und Ihre Frau rufen, wenn etwas reinkommt.«
    Paul wandte sich wortlos ab und ging ins Wohnzimmer, wo eine einzelne Lampe mit gußeisernem Fuß dämmriges Licht verbreitete. Er wollte gerade an der Couch vorbeigehen, als Karen Wright sich blinzelnd und zerzaust aufrichtete. Eine blutrote Häkeldecke fiel von ihrem Schoß, sie stützte sich mit einem Arm gegen die Rückenlehne der Couch und schaute hoch zu ihm. Mit der anderen strich sie automatisch über ihr feines aschblondes Haar. Es fiel wie ein seidiger Vorhang um ihren Kopf, ein klassischer Pagenschnitt, der kurz über ihren schmalen Schultern endete.
    »Tag, Paul«, murmelte sie. »Natalie hat mich angerufen und mich gebeten, Hannah Gesellschaft zu leisten. Das mit Josh tut mir so furchtbar leid.«
    Er starrte sie an und versuchte ihr plötzliches Erscheinen in seinem Wohnzimmer zu verdauen. Plötzlich wurde ihm übel.
    »Alle Frauen aus der Nachbarschaft wechseln sich hier ab.«
    »Oh, gut«, murmelte er.
    Sie zog einen Schmollmund, sehr hübsch anzuschauen in
    diesem feinknochigen, ovalen Gesicht. Aus dem Augenwinkel sah er, wie McCaskill sich zurück in seinen Küchenstuhl setzte, und gleich wieder in seine Illustrierte vertiefte.
    »Geht’s dir gut?« fragte sie. »Du solltest dich wohl besser hinlegen.«
    »Ja«, murmelte Paul. Sein Herz stotterte und pumpte
    verzweifelt, in seinem Kopf drehte sich alles. Josh. Josh. Josh.
    »Ja, das mach ich.«
    Er wandte sich noch unterm Reden ab und mußte sich
    ungeheuer zusammennehmen, um nicht aus dem Zimmer zu
    rennen. Er schwitzte wie ein Pferd, gleichzeitig jagten ihm 129
    Kälteschauer über den

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