Sünden der Nacht
jedesmal, wenn die Klauen des Schmerzes zuschlugen, einredete.
Ihre Hand zitterte so heftig, daß sie kaum den Schlüssel in das Schloß ihrer Bürotür brachte. Wie sich herausstellte, brauchte sie ihn ohnehin nicht. Die Tür war offen, das Büro besetzt.
Ein Mann erhob sich aus dem Besucherstuhl, in einer Hand eine Ausgabe von Law and Order , in der anderen einen halben, glasierten
Doughnut. Er war etwas um die dreißig, hatte aber ein Gesicht, das auch bei zunehmenden Alter immer knabenhaft bleiben würde mit glänzenden braunen Augen und einer zu kurzen Nase. Seine Haare – braunlockige Zotteln – erinnerten Megan an einen Cockerspaniel. Sie fixierte den Eindringling mit grimmiger Miene. »Megan O’Malley«, sie warf ihre Aktentasche auf den Tisch und ließ ihn nicht aus den Augen, während sie ihre Jacke an den Garderobenhaken hängte. »Für den Fall, daß Sie sich fragen, in welches Büro Sie unbefugt eingedrungen sind.«
Der Hundeboy gab sich übertrieben verlegen, fummelte mit seiner Zeitschrift und dem halben Doughnut herum und warf dann beides auf den Schreibtisch. Er wischte sich die Hand am Bein seiner dunkelblauen Baumwollhose ab unter Hinterlassung von Zuckergußspuren, dann reichte er Megan die Hand. »Marty Wilhelm.«
Megan überging diesen plötzlichen Anflug von Manieren. Das rote Licht auf ihrem Anrufbeantworter blinkte wie ein zorniges rotes Auge.
»Ich nehme an, Sie wissen, daß alles in einem kleinen Raum unten bei der Beweisaufnahme aufgebaut ist. Der Professor scharrt schon ungeduldig mit den Füßen. Er kann es kaum erwarten anzufangen.«
»Äh … mmh?«
»Der Professor, die Computer«, sagte Megan barsch. »Zur Tür raus, nach links ab! Ich würde ja sagen, Sie brauchen einen Schlüssel. Aber scheinbar hat Sie das hier ja auch nicht abgeschreckt.«
Sein Mund verzog sich zu einem schiefen, beschämten Lächeln. »Ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemand anderem.«
»Das kommt drauf an, wer Sie sind.«
»Agent Marty Wilhelm. Das Hauptquartier hätte Sie eigentlich informieren sollen. Ehrlich gesagt«, er hob zur Betonung einen Finger, immer noch grinsend, »Bruce DePalma hat angekündigt, er würde persönlich mit Ihnen reden.«
Megans Blick huschte zu dem blinkenden Anrufbeantworter. Gänsehaut kroch ihr über den Rücken. Sie zwang sich, Marty wieder anzusehen, mit seiner kindischen Begeisterung und der gestreiften Regimentskrawatte.
»Tut mir leid«, sagte sie, erstaunt, daß sie vollkommen normal klang, obwohl ihre sämtlichen inneren Systeme verrückt spielten. »Tatsächlich habe ich keine Ahnung. Ich habe heute noch nicht mit Bruce gesprochen.«
»Oje, wie peinlich.« Er räusperte sich, strich sich über die Brust und breitete dann die Arme aus. »Ich bin Ihr Ersatz. Sie sind vorübergehend vom aktiven Dienst suspendiert. Von dem Fall werden Sie abgezogen.« Ihre innere Alarmglocke schrillte, aber zu spät, um noch etwas zu nützen. Marty Wilhelm. Der Marty Wilhelm, der ebenfalls im Rennen für diesen Außenposten lag, bevor man ihn abgesägt hatte. Der Marty Wilhelm, der mit der Tochter von Hank Welsh von der Sondereinheit verlobt war. Der Marty Wilhelm, der offensichtlich hinter den Kulissen bereitgestanden und darauf gewartet hatte, daß sie die Sache vermasselte.
Megans erster Impuls war, ihre Glock-9-mm zu ziehen und dieses dämliche Grinsen von seinem Gesicht zu blasen. Hinterlistiges Wiesel, spielte hier den Einfaltspinsel und führte sie an der Nase rum. Sie konnte sich vorstellen, daß ihm nur noch ein Publikum zu seinem Glück fehlte. Es war ein Wunder, daß er nicht im Mannschaftsraum auf sie gewartet hatte, damit er ihr vor all den anderen Cops eins auswischen konnte.
»Wenn Sie sich bitte ausweisen würden«, sie zwang sich mit Gewalt, ruhig zu bleiben.
Martys Augenbrauen schossen nach oben, aber er kramte seinen Ausweis heraus und reichte ihn ihr. Megan sah ihn sich an und ließ ihn dann wie eine heiße Kartoffel auf ihren Schreibtisch fallen – den Schreibtisch des Hundeboy . Ihre Knie zitterten ein wenig, und sie ließ sich auf Leo Kozlowskis angeknacksten Stuhl fallen. »Ich muß ein paar Telefonate führen«, verkündete sie.
Marty lehnte sich mit einer großzügigen Geste zum Telefon im Besucherstuhl zurück.
»Und Sie werden so freundlich sein, Ihren Hintern aus dem Büro zu schwingen, während ich sie erledige«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Aber Megan«, begann er in geübt gönnerhaftem Ton, »Sie haben wohl kaum das
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