LIEBES LEBEN
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»Hier ist für Sie Rick Ramirez von ›Unterhaltung am Abend‹.« Der Sprecher rollt das R, um seine lateinamerikanische Abstammung hervorzuheben. Er ist so eine Mischung aus südländischem Casanova und dem Gebrauchtwagenhändler um die Ecke.
»Wir berichten live aus Silicon Valley von der Hochzeitsfeier von Ashley Wilkes Stockingdale und dem wohl begehrtesten Junggesellen, John Folger, Erben des Folger Kaffeeimperiums. Seit John F. Kennedy Junior waren die ledigen Frauen dieser Welt über keine Hochzeit mehr so betrübt. Aber Ashley hat sein Herz erobert und aus dem eingefleischten Junggesellen einen glücklichen Bräutigam gemacht. Wir hören die Wehklage junger Frauen: Wer ist diese Frau? Um mehr über Ashley zu erfahren, schalten wir zu Jen Jenkins in Helikopter 7.«
»Rick, wir schweben gerade direkt über der Kapelle der Stanford Universität und warten auf das von allen heiß ersehnte Erscheinen dieser geheimnisvollen Ashley Stockingdale, der Frau, die sich für ihre diamantbesetzten Hochzeitsschuhe extra den weltberühmten Damenschuhdesigner Manolo Blahnik nach Kalifornien bestellt hat. Wer ist diese Ashley Stockingdale?« Dabei beugt sich Jen ganz nah zur Kamera.
»Gute Frage. Ashley Wilkes Stockingdale kommt aus eher bescheidenen Verhältnissen und ist in einem altmodischen kalifornischen Bungalow aufgewachsen. Als Tochter eines Zimmermanns und einer Hausfrau wusste Ashley schon früh, dass sie zu etwas Besonderem berufen war. Obgleich es in ihrem Leben auch so banale Dinge gab wie im Cheerleader-Team ihrer Schule zu sein, war sie doch eine sehr ernsthafte Schülerin und Studentin, die ihr Juraexamen auf Anhieb bestand. Aber sie hat ihre Herkunft nicht vergessen. Auf die Frage, ob der Sohn des weltbekannten Evangelisten Billy Graham, Franklin Graham, die Trauung halten solle, lehnte sie ab und entschied sich stattdessen für den Prediger ihrer Heimatgemeinde, den sie sehr schätzt. Gerüchten zufolge soll sie ein cremefarbenes, eng anliegendes, langes Kleid der New Yorker Brautmodendesignerin Vera Wang tragen. Die ganze Welt wartet auf sie, und ich gebe vorerst zurück an Rick.«
Ja, die ganze Welt wartet. Und ich auch. Es gibt Singles auf Zeit und Singles auf Ewigkeit . Das hatte der Leiter der Single-Gruppe in unserer Gemeinde immer gesagt und dabei gelacht wie Spongebob. Damals fand ich den Satz zum Brüllen, aber das war vor meinem dreißigsten Geburtstag. Danach hing ich trüberen Gedanken nach. Vielleicht gehörte ich ja zu den Singles auf Ewigkeit. Es war deprimierend, als ich merkte, dass mein Traumprinz nicht auf einem weißen Pferd dahergeritten kommen würde und dass sich der verstorbene Prediger J. Vernon McGee im Radio auf einmal äußerst attraktiv anhörte.
Wenn ich mich in unserer Single-Gruppe umsehe, entdecke ich jede Menge Ewigkeitssingles. Tim Hanson mit seinen Haarbüscheln sieht aus, als sei sein Kopf ein Maisfeld. Jake Henley verzehrt sich schon seit gut drei Jahren vor Sehnsucht nach einer Exfreundin, die aber niemand je gesehen hat. Er telefoniert immer noch mit ihr, und manchmal bin ich versucht zu sagen, »Wach endlich auf, du Dummkopf! Es ist aus!« Sein Leben an eine Beziehungskiste zu verschwenden, die zu nichts führt, ist natürlich eine billige Erklärung für das Singlesein. Damit war er vergeben und musste sich gleichzeitig nicht binden.
Und dann ist da noch Kay Harding, die schon zum Inventar gehört, Organisationstalent und ordnungssüchtig. Sie hat das Leben jedes Einzelnen der Gruppe voll im Griff und findet darin ihre Befriedigung. Das Traurige daran ist, dass wir alle brav mitmachen, weil wir nicht genug Eigeninitiative haben, um unsere sozialen Kontakte selbst in die Hand zu nehmen. Kay macht ihre Sache gut, und so haben wir am Samstagabend immer etwas vor. Wer sollte sich also beklagen? Bei Kay zu Hause sieht es aus, als wohne die Hausfrauen-Ikone und Herausgeberin mehrerer Haushaltsmagazine, Martha Stewart, bei ihr. Aber sie wohnt alleine. Genau wie ich. Wenn es bei allen anderen so offensichtlich ist, weshalb sie ewig Single bleiben, was steckt dann bei mir dahinter? Und warum merke ich es nicht, wenn ich es doch bei allen anderen so deutlich erkennen kann?
Als ich mein Juraexamen an der Santa Clara Universität machte und meine Zulassung als Anwältin bekam, dachte ich, die Welt läge mir zu Füßen. Mein Ego war so groß, dass ich kaum damit durch eine Tür kam. Aber seither ist es Tag für Tag geschrumpft, durch die permanente Ablehnung, mit der
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