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Sündiger Mond

Sündiger Mond

Titel: Sündiger Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louisa Burton
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jungen Mann in Hemdsärmeln mit leicht zerzausten braunen Haaren, der in der Kutsche saß. Er hatte den Kopf zurückgeworfen und die Augen geschlossen, und ich hätte geglaubt, er schliefe, wenn sich seine Brust nicht gehoben und gesenkt hätte, als ob er keine Luft bekäme. Er sah aus, als habe er Schmerzen, aber gerade, als ich dachte, ihm helfen zu müssen, hob er seinen Kopf und sagte etwas, wobei er hinunterblickte. Ich konnte zwar nicht hören, was er sagte, aber er war offensichtlich nicht allein. Vielleicht, so dachte ich, liegt eine Frau mit dem Kopf in seinem Schoß – diese Landauer waren ja innen ziemlich geräumig.
    Der junge Mann warf den Kopf zurück und verzog das Gesicht. Er bog den Rücken und erschauerte, bevor er wieder in die Polster sank. Es musste tatsächlich eine Frau mit ihm darin sein, und offensichtlich hatte sie ihn gerade mit der Hand befriedigt. – Lach nicht, Rémy!
    Erneut blickte er hinunter, lächelte zufrieden und sagte etwas. Ein blonder Kopf tauchte auf.
    Es war ein anderer junger Mann.
    Ich stach mir mit einer Hutnadel in den Finger.
    Der blonde Mann küsste ihn, dann drehte er sich um, um sich hinzusetzen. In diesem Augenblick sah er mich. Er sagte etwas zu seinem Gefährten, der erschreckt in meine Richtung blickte.
    Ich formte mit den Lippen: »Es tut mir leid!« Dann rannte ich so schnell aus dem Kutschenhaus heraus, dass die Schöße meines Mantels mir um die Beine schlugen. Ich war schon etwa hundert Meter den Kiesweg entlanggelaufen, als ein Mann hinter mir rief: »Mademoiselle!«
    »Es tut mir so leid«, sagte ich und wich mit erhobenen Händen zurück. »Je suis désolée.«
    Als er meinen Akzent hörte, sagte er außer Atem auf Englisch : »Sie sind américaine ?«
    Ich nickte. »Ich bin Emily Townsend, eine Freundin von Mr. Archer. Er hat mich hierher eingeladen, ist allerdings nicht da. Aber ich kenne jemand anderen hier, und deshalb …«
    »Bitte, Mademoiselle «, sagte er und machte meinem idiotischen Gestammel ein Ende. Er wirkte so jung und verletzlich, wie er da ohne Hut im Regen stand. Die Haare klebten ihm nass an der Stirn. »Ich bitte Sie, was Sie gesehen haben …« Er warf einen Blick zum Kutschenhaus, wo der blonde junge Mann in der ersten Box stand und uns beobachtete, während er sich eine Zigarette anzündete.
    Ich sagte: »Es geht mich wirklich nichts …«
    »Wenn mein Vater es herausfindet … «, begann er. »Das darf nie geschehen. Bitte, ich flehe Sie an, sagen Sie ihm nichts … zu niemandem.«
    »Wer ist denn Ihr Vater?«, fragte ich.
    »Émile Morel, Seigneur des Ombres. Ich bin Claude Morel. Wenn er wüsste …« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. Regentropfen rannen wie Tränen über sein Gesicht.
    »Ich werde ihm nichts sagen. Ich verspreche es«, erwiderte ich.
    Er nickte nachdenklich. »Ich glaube Ihnen, Sie haben eine saphirblaue Aura.«
    »Ich kenne Ihren Vater überhaupt nicht«, sagte ich. »Ich bin auf Einladung von Mr. Archer hier.«
    Alarmiert blickte Claude mich an. »Er darf es auch nicht erfahren.«
    »Kit würde Sie nicht verurteilen.« In Mrs. Chalmers’ Salon gab es zwei Männer, einen Redakteur von Harper’s Weekly und einen Drehbuchautor, die als Liebespaar galten. Und es gab eine Dichterin, die Pfeife rauchte und Männerkleider trug. Niemand, auch Kit nicht, schien daran irgendetwas merkwürdig zu finden, wobei ich wahrscheinlich die Einzige war, der nicht klar gewesen war, dass sich homosexuelle Liebe auch körperlich äußerte. Es war mir einfach nie in den Sinn gekommen, dass zwei Personen gleichen Geschlechts sich küssen, geschweige denn Liebe machen könnten.
    »Er mag mich nicht verurteilen, aber er müsste es meinem Vater sagen, denn wenn ich keinen Erben zeuge …« Claude schob sich die nassen Haare aus den Augen. »Es ist undenkbar. «
    Ich fragte ihn, wie alt er sei.
    »Achtzehn.«
    »Sie sind noch jung«, sagte ich. »Bis Sie heiraten und Kinder haben wollen, haben Sie es vielleicht überwunden, diese …«
    »Nein«, erwiderte er düster. »Das wird nicht so sein.«
    Ich versicherte ihm, dass ich sein Geheimnis wahren würde, woraufhin er sich wieder zum Kutschenhaus wandte und ich zum Château ging. Als ich den Hof betrat, regnete es bereits heftiger, aber ich konnte sechs oder sieben nackte Personen erkennen, die sich im Becken des großen Brunnens in der Mitte tummelten. Eine, eine junge Frau, tanzte mit ausgestreckten Armen umher, das Gesicht zum Himmel gewandt. Ein großer Mann kniete hinter einer

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