Sueßer Schmerz
Limonadendose. Ehrlich gesagt konnte sie sich nicht mehr erinnern. »Du weißt ja, ich spare fürs Medizinstudium.« Sie war neunundzwanzig. Durch die Abendschule ging ihre Ausbildung langsam voran. Aber sie hatte nur noch zwei Klassen vor sich, dann konnte sie die Aufnahmeprüfung an der medizinischen Hochschule machen. Sobald sie die bestanden hatte, würde sie anfangen, dort zu studieren.
Zusammen mit den Studienkrediten reichten ihre Ersparnisse schon fast bis zum Ende der Studienzeit.
»Ja«, antwortete Jennifer, »aber das heißt nicht, dass du nicht hin und wieder ein bisschen Spaß haben darfst.«
Kelly biss sich auf die Lippe. Sie brauchte ein bisschen Spaß. Vielmehr brauchte sie einen Mann. Diese ganzen verdammten Träume machten sie scharf. Das Problem war, dass sie besessen davon war, nicht wie ihre Mutter zu werden.
Allein bei dem Gedanken an die zügellose Art ihrer Mutter gruselte Kelly. Sie hatte sich nur amüsiert und weder an ihre Familie noch an ihre Zukunft gedacht. Fünf Stiefväter hatte Kelly erlebt. Am Ende war keiner geblieben.
»Es ist Freitag. Ich gehe in einen ziemlich guten Club in Downtown. Warum kommst du nicht mit? Wir werden uns amüsieren.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Kelly, aber eigentlich wollte sie gern mitgehen. Es war so lange her, dass sie einfach nur Spaß gehabt hatte. Ganz bestimmt würde sie sich durch eine Nacht nicht in ihre Mutter verwandeln. Trotzdem … es war nicht gut, es aus den Augen zu verlieren.
»Komm schon«, bettelte Jennifer. »Komm mit. Du hast dir eine Nacht voll Spaß verdient.«
Was konnte eine Nacht schon schaden? Es musste sein. »Ja, okay. Wann und wo?«
Kelly beugte sich über das Waschbecken in ihrem Badezimmer und presste die Lippen aufeinander, um den rosa Lippenstift zu verteilen. Kritisch prüfte sie ihr Spiegelbild. Sie trug einen schwarzen Rock, den sie vor gut zwei Jahren aus einer Laune heraus gekauft hatte, und zeigte deutlich mehr Bein als gewöhnlich.
Das schwarze Seidenoberteil mit den Spaghettiträgern ließ reichlich Haut frei und schmiegte sich um ihre vollen Brüste. Es war ein Geburtstagsgeschenk von Stef gewesen. Sie nahm sich vor, ihr zu erzählen, dass sie es endlich getragen hatte.
Es klingelte an der Tür, Kelly warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und strich ihre Haare glatt. Es war lange her, seit sie sich das letzte Mal sexy gefühlt hatte. Heute Abend fühlte sie sich durch und durch weiblich, und darüber musste sie lächeln.
Es klingelte erneut.
Kelly schaltete das Badezimmerlicht aus und nahm ihre Tasche. Sie würde sich amüsieren und nicht an die Zukunft denken.
Einen Abend lang wollte sie den Augenblick genießen.
Morgen würde sie wieder pauken, um auf die medizinische Hochschule zu kommen.
Heute Abend würde sie eine Frau sein, die sich amüsierte. Nicht mehr und nicht weniger.
2
Er stand auf der anderen Seite der Bar und hätte einem ihrer Träume entstammen können. Allerdings waren seine Haare blond und kurz, während die Männer in ihren Träumen stets lange, dunkle Haare hatten. Diese Version fühlte sich realer an. Gefährlicher.
Kelly nippte an ihrem Tequila Sunrise und betrachtete über den Rand ihres Glases hinweg seinen hochgewachsenen, muskulösen Körper. Der Mann erschien ihr wie die Kirsche auf dem Boden ihres Drinks. Eine süße Versuchung, an die man schwer herankam, die die Mühe jedoch allemal wert war.
Wenn sie austrank, gelangte die Kirsche automatisch in ihren Mund. Wenn nur der attraktive Fremde bloß auch so leicht zu haben wäre. Auch wenn sie versucht hatte, sich das Gegenteil einzureden, sie konnte auf keinen Fall zu ihm hinübergehen. Er wirkte unnahbar. Wie er so allein abseits der Menge stand, schien er irgendwie nicht ganz hierher zu passen.
Ein paarmal hatte sie das Gefühl, er würde sie beobachten, aber wenn sie aufsah, erwies es sich jedes Mal als Irrtum. Kelly seufzte und blickte sich im Raum um. Jennifer war bereits vor einer ganzen Weile verschwunden. Nicht, dass Kelly sich deshalb beklagte.
Sie hatte mit ein paar Männern getanzt und Jennifer sich selbst überlassen.
Als sie sich in der Bar umsah, fand sie die originelle Einrichtung fast ebenso interessant wie den Großteil der Gäste. Der Laden hatte eine flaschenähnliche Form und hieß
Aquarium
, dementsprechend waren in die Wände riesige Aquarien eingelassen.Sie fühlte sich erneut beobachtet und blickte suchend zur Bar. Doch er war nicht mehr da. In Kelly stieg Enttäuschung auf. Etwas
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