Sueßer Tod
ich bin hingerissen.
Nur, was kann ich tun, um Ihnen bei der Biographie zu helfen?«
Sie waren beim Dessert angekommen, was, es sei denn, man hat Appetit auf Kumquats, Orangen oder Eiscreme, in einem chinesischen Restaurant bedeutet, daß das Mahl beendet ist. Aber es gibt immer Horoskop-Kekse. »Ist Ihnen je aufgefallen«, fragte Kate und brach den Keks in zwei Teile, um an ihr Horoskop zu kommen, »wie selbst die strengsten Rationalisten unter uns sich an die Vorstellung klammern, es gebe irgendwo ein Wesen, das alles weiß und lenkt? Nichts könnte mich zum Beispiel davon abhalten, mein Horoskop zu studieren, und falls es auch nur im entferntesten zutrifft, nehme ich es bis zu einem gewissen Grad ernst, obwohl ich weiß, welch ein Unsinn das Ganze ist. Wir alle wollen gern so etwas wie ein Muster in unserem Leben erkennen und glauben, daß irgendein Wesen –
weiser als wir selbst – unser Schicksal lenkt und uns von Zeit zu Zeit einen Wink gibt. ›Sie sollten die nächste Gelegenheit beim Schopfe greifen, die sich Ihnen bietet.‹ Da sehen Sie, was ich meine: die Botschaft, die unserer chaotischen Existenz eine Richtung gibt. Aber warum diese Abhandlung über Horoskop-Kekse? Weil ich das Gefühl hatte, daß Patrice, aus Gründen, die ich Ihnen nicht benennen könnte, in Gefahr war, den Nebel am Flughafen so zu interpretieren wie andere ein Horoskop: darin Aufklärung, Erleuchtung und Erkenntnis über das 9
eigene Sein zu sehen. Aus diesem Grund fragte sie so unerwartet, ob ich an Gott glaube. Und in gewisser Hinsicht, das wird mir jetzt klar, verstand ich sie.«
Es entstand eine Pause. Herbert sagte: »Wissen Sie, ich bin überzeugt, daß Patrice Selbstmord begangen hat. Archer zweifelt daran. Archer kannte Patrice, ich dagegen nicht. Er fand sie hinreißend. Archer bewundert Exzentrik: er bewundert Leute, die wie Ölgemälde sind – einzig in ihrer Art.«
»Vorausgesetzt«, fügte Archer auf seine lockere Art hinzu, »sie sind nicht unerträglich penetrant und humorlos. Sie wissen schon, fanatische Anhänger vegetarischer Kost oder Leute, die ihr Leben dem Kampf gegen Zahnbelag verschrieben haben. Von mir aus können sie Zahnseide benutzen soviel sie wollen, aber sie sollten keinen Kreuzzug daraus machen. Wie beim Joggen, wenn Sie mir folgen können.«
»Oh, kein Problem«, sagte Kate.
»Nun«, fuhr Herbert fort. »Ich habe Patrice nie kennengelernt. Alles, was ich über sie weiß, mußte ich mir aus Dokumenten, ihren Schriften, Briefen und ihrem Tagebuch zusammensuchen – und vor allem natürlich bei den Menschen, die sie kannten – die sie liebten oder haßten (letztere übrigens eine recht beträchtliche Gruppe). Und so erstand vor meinen Augen eine Person, die sich sehr von Archers Bild von Patrice unterscheidet – beide sind nicht unvereinbar, aber eben verschieden. Ich glaube, daß Patrices Leben in gewisser Weise exemplarisch war –
im Mittelalter hätte es sich zur Legendenbildung geeignet. Und wie Donne glaube ich, daß liebende Menschen sich besser für Legenden eignen als Heilige.«
»Aber natürlich«, sagte Kate. »Glauben Sie, daß sie mich nach Gott fragte, weil ich Laphroaig trinke? Ohne Zweifel spricht dieses Getränk für eine gesunde Skepsis. Sie müssen mich beide bald einmal abends besuchen und mit mir und meinem Mann ein Glas Laphroaig trinken. Haben Sie Lust?«
»Mit Freuden, meine Liebe. Sagen Sie wann. Was macht Ihr Gatte übrigens?«
»Er versucht Mörder ihrer Verbrechen zu überführen, hat also keinerlei Verbindung zu Patrice. Aber ich glaube, Sie werden ihn mögen.«
10
Zwei
Nur in unseren Tugenden sind wir einmalig,
denn Tugend ist schwierig…
Laster sind das Allgemeine,
Tugenden das Besondere.
Iris Murdoch
Während sie Archer und Herbert zu dem vereinbarten Drink erwarteten, bot Reed Kate einen Martini an.
»Weißt du übrigens«, sagte Kate, »daß ich neuerdings öfter zu hören bekomme, wir tränken zuviel. Meinst du, das stimmt?«
»Natürlich stimmt das. Wollen wir den Wodka pur, so wie Balanchine, oder lieber so tun, als mixten wir Martinis? Na, ich sehe schon, wir gehen demnächst zu Weißwein über, weil alle andern kurz davor sind, Wein den harten Drinks zuliebe aufzugeben.«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich habe den beiden Laphroaig versprochen.
Vielleicht sollten wir gleich damit beginnen, statt später zu wechseln.«
»Da hast du recht. Wenn doch nur alle wichtigen Entscheidungen so leicht zu treffen wären! Wie sind sie eigentlich,
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