Super Sad True Love Story
am St. Mark’s Place schicken. Vielleicht werden die Überparteilichen ja langsam vernünftig. Vielleicht kriegen wir ja jetzt unsere Venezuela-Prämien.
BEOBACHTUNG: Du hast insgesamt richtig Glück, Eunice, weißt du das? Es würde helfen, wenn du jetzt hier wärst, damit wir uns im stillen Zelt unterhalten könnten (ich habversucht, dich anzutexten, aber du schläfst wahrscheinlich schon), und dann wäre es wieder wie damals im Studium, bloß dass in Austin keine so hübsch war wie du. Nur zur Info, Chauncey von der «Unterernährung» sagt, wir brauchen 20 Dosen Mückenabwehrspray, und wenn wir noch 100 Einheiten Avocado mit Krebsfleisch kriegen könnten, würde das unser Ernährungsprofil erheblich verbessern.
Hoffe, du bist im Trockenen und dein Körper und Geist sind wohlauf. Lass dich nicht vom Denken der Vermögenden anstecken diese Woche. Übernimm sinnvolle Aufgaben, auf die dein Vater stolz sein würde. Aber außerdem: Entspann dich ein bisschen. Was auch passiert, ich geb dir Deckung.
David
DER BRUCH
Aus dem Tagebuch des Lenny Abramov
29. Juli
Liebes Tagebuch,
Grace und Vishnu haben die Party zur Verkündung der Schwangerschaftsneuigkeit auf Staten Island gegeben. Auf dem Weg zum Fähranleger sahen Euny und ich eine Demonstration, einen richtigen Old-School-Protestmarsch, die Delancey Street runter und auf den zusammengebrochenen Überbau der Williamsburg Bridge zu. Anscheinend war sie von der Restaurationsregierung genehmigt worden, denn die Marschierenden skandierten ungehemmt und schwenkten falsch beschriebene Schilder, auf denen eine bessere Wohnsituation gefordert wurde: «Wir sind das Folk!» – «Eine Wonung ist Menschenrecht.» – «Schmeist uns nicht ins Meer.» – «Alle Kreditmasten vabrennen!» – «Bin kain Grashüpfer,
huevón
!» – «Nenn mich nich Ameise!» Sie skandierten auf Spanisch und Chinesisch, und ihre Akzente verstopften das Ohr – so viele kraftvolle Sprachen, die sich in unsere nachlässige Muttersprache drängen wollen. Man sah kleine Männer aus Fujian neben breitschultrigen Latina-Müttern, und aus dem Getümmel ragten hier und da schlaksige weiße Medienleute, die von eigenen Problemen zu streamen versuchten, von Anzahlungen auf Eigentumswohnungen und selbstherrlichen Wohneigentumsverwaltungen. «Wir werden von Immobilien plattgemacht!», riefen gebildete Demonstranten. «Schluss mit den Ausweisungsdrohungen! Buh! Wohnraum für LSB T-Jugendliche ist unverkäuflich! Gemeinsamsind wir stark! Holen wir uns die Stadt zurück! Ohne Gerechtigkeit kein Frieden!» Ihre Kakophonie beruhigte mich. Solange es noch Demonstrationen wie diese gab, solange Menschen sich noch für Dinge wie
bessere
Wohnungen für transsexuelle Jugendliche einsetzten, waren wir als Nation vielleicht doch noch nicht am Ende. Ich überlegte, ob ich Nettie Fine die gute Nachricht teenen sollte, doch das Vorhaben, nach Staten Island zu gelangen, nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Nach Auskunft meines Äppäräts waren die Nationalgardisten am Checkpoint des Fähranlegers nicht von WapachungKrise, also unterwarfen wir uns der üblichen halbstündigen Erniedrigung des «Leugnen und Zustimmen» so wie alle anderen auch.
Grace und Vishnu bewohnten im hippen Viertel St. George ein Stockwerk einer Villa im Holzschindelstil; die dorischen Säulen vorm Eingang drückten anmaßende Überheblichkeit aus, das Türmchen diente der humoristischen Auflockerung, Buntglasfenster sorgten für eine hübsche Art Kitsch, aber der Rest war wettergegerbtes Selbstbewusstsein – eine einheimische Variante des Historismus, erbaut auf einer Insel nur einen Steinwurf von dem entfernt, was damals gerade zur bedeutendsten Stadt im bedeutendsten Land der Erde wurde.
Reich waren sie nicht, meine Freunde Vishnu und Grace – sie hatten das Haus zwei Jahre zuvor, als die letzte Krise ihren Höhepunkt erreichte, fast umsonst gekauft –, und schon jetzt war die Wohnung ein Chaos, auch ohne das sich ankündigende Baby, ein Durcheinander beschädigter Shaker-Möbel, die zu reparieren Vishnu niemals die Zeit finden würde, und tatsächlich streng riechender Bücher aus einem anderen Lebensabschnitt, die er niemals mehr würde lesen wollen. Vishnu stand auf der hinteren Terrasse,grillte Tofu und Gemüse. Diese Terrasse mit ihrer freien Sicht auf Downtown-Manhattan hob die Wohnung übers Alltägliche hinaus, auch wenn die Skyline, die da aus der Sommerhitze ragte, müde, abgenutzt,
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