Surf
auf das grüne Gras gerichtet. Alles das ereignet sich auf einer Anhöhe über den Meeresklippen, wie erstarrt vor einer roten Sonne, die als praller Feuerball über dem Wasser untergeht. Es bedeutet zwar eine Erleichterung, das Leben zu entdecken, das man am liebsten leben will, aber man bekommt auch Angst, wenn man die Bedürfnisse der Seele erkennt – wie soll man sie dann noch verleugnen können?
Die Nebelbank weit vor Willies Veranda wirbelte erneut auf und bildete eine Wolke abstrahierten Ozeans, wogte in der trägen Stille, mit der Luft sich bewegt. Sie waberte über die Klippen unterhalb der Hügel, und ich lernte noch mehr über die Natur des Nebels, kleine Dinge, die mir nie aufgefallen wären, hätte ich nicht das ganze Jahr an dieser Küste verbracht (und das war nur ein winziger Moment, verglichen mit der Zeit, die Vince und Willie hier verbracht hatten): Wie der Nebel wie ein Geisterschiff aus grauen Tröpfchen über einer Lagune landet. Es bringt einen aus der Ruhe, wenn man entdeckt, wie hart das wirkliche Verständnis für einen Ort erkämpft werden muss, wie viel Stille und Zeit es erfordert; wirkliche Zeit, tägliche Besuche, Spaziergänge zum Point oder Fahrten an die Grenze des County, auch wenn nicht die geringste Dünung zu sehen ist. Es bringt einen aus der Ruhe wie eine neue Freundin und die erste leise Ahnung, wie sehr man sie lieben könnte. So viel mehr scheint plötzlich möglich, und doch kann man es nicht schnell vorantreiben. Wie ich so dasaß und Willies Musik lauschte – er war ein brillanter Gitarrist –, erfasste mein umherschweifender Blick ein großes, blasses Kornweihen-Weibchen, das sich aus dem Feld der Rettichblüten erhob und über einen Hohlweg aus trockenem Gras flog. Daraufhin flatterte das Männchen ebenfalls empor und folgte ihr; gemeinsam flogen sie eine Weile, beschrieben ein paar Bögen, bis das Weibchen wieder in den Blüten landete. Er legte unweit von ihr auf einem alten Zaunpflock neben einer Eiche eine Pause ein. Zehn Minuten saß das Männchen reglos da, ehe es seine Flügel ausbreitete und von seinem Sockel glitt, sich zu der Stelle, wo sie gelandet war, treiben ließ und neben ihr aufsetzte, für mich außer Sicht. Sie war offenbar noch nicht bereit, und ehe er seine Flügel angelegt hatte, flatterte sie hoch in die Luft und steuerte hinüber zum Zaunpfosten. Sie spielten dieses geduldige Spiel des Schwer-zu-Kriegens fast eine Stunde lang: Sogar die Killer waren verliebt! Natürlich eine Vermenschlichung – eine Sentimentalität –, doch vielleicht fing die Sprache der Verhaltensforscher von unserer Liebe so wenig ein wie von ihrer?
Als meine Träumereien von der untergehenden Sonne unterbrochen wurden, fuhr ich nach Hause zu einem lustigen Kontrastprogramm: Die Deutschen waren zurück, saßen nach kaum einer Woche wieder in meiner Küche, wirkten etwas betreten und nicht besonders glücklich, mich zu sehen.
«Costa Rica», antwortete Thore auf meine Frage, «nicht so gut.»
Nicht? Ich sah Mitch an.
Er legte den Kopf auf den Tisch. «Neee», sagte er kopfschüttelnd. Er setzte sich auf und sah aus dem Fenster auf unsere kleine Straße, ein sehr gewöhnlicher Anblick. Nervös gluckste er. «Nicht so gut.»
«Schmutzige Strände», setzte Thore hinzu, «keine Wellen. Viel Müll. Wir gehen heim.»
Den ganzen weiten Weg? Jeden Tag war für Thore ein Brief angekommen, parfümiert und mit geschwungener Handschrift adressiert. Die letzten vier schienen noch mehr Wind aus seinen Segeln zu nehmen.
«Nein», sagte Thore, «wir kaufen vielleicht doch einen Bus. Sehen uns Kalifornien an. Vielleicht einen Monat.» Er wirkte etwas gequält. Der Wilde Westen … er hatte nicht mehr als zehn Wellen erwischt. Mitchs Blick war leer, trostlos – die Liebe, diese alte Verräterin, hatte ihm alles vermasselt. Sie entschlossen sich schließlich für einen blaugrauen '67er, den sie einem Studenten von der Universität Santa Cruz für dreizehnhundert Dollar abkauften, und fragten, wohin sie fahren sollten.
Hey, also, ich meine Yosemite? Mendocino? San Francisco? Joshua Tree? Disneyland? Rincon? Da gibt's keine falsche Entscheidung!
Bei meinem Surf-Check vor dem Frühstück traf ich sie ein paar Tage später wieder am Kliff, wo sie parkten. Sie waren nie über die Stadtgrenze hinausgekommen, hatten ihren Bus aber mit Aufklebern aufgemotzt: Irie Vibrations, Byrning Spears, No Fear, Pearson Arrow Surfboards. Mitch saß griesgrämig in der Schiebetür, die nackten Füße
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