Surf
Alke. Stunden-, tage-, jahre-, ein Leben lang: den Hügel hinab, über das Schilf, über den Senf auf der anderen Seite hoch, dann wieder hinunter über die kleine Lagune – sie bewachte ihre Felder. Ich fragte mich oft, ob sie wohl je ihre Beute vergaß und aus purem Vergnügen über diese Hügel flog. Eine Stunde lag ich da, bis ich nass wurde, ließ den Nebel aufklaren und sah zu, wie eine Gabelweihe über den Sandsteinklippen aufstieg – ein kleiner Raubvogel, der ebenfalls in den morgendlichen Thermalblasen flog, die für die größeren Raubvögel zu kühl und zu schwach waren. Sie schwenkte ein paar Meter über den Hemlocktannen ab, die Augen wütend auf das austrocknende weizengoldene Fuchsschwanzgras gerichtet. Frierend, die losen, dünnen Flügel gespreizt wie flatternde Finger, die Spitzen leicht V-förmig aufgerichtet; den rostroten Schwanz weit gespreizt und die scharfen Krallen geöffnet. Gelassen vom Meer zum Land gleitend, unbeirrbar eine Spitzmaus oder eine kleine Schlange im Blick, um sie am Stück zu verschlingen. Ihr gekrümmter, Fleisch zerfetzender Schnabel so ganz anders als die Zupfwerkzeuge der Seevögel. Dann hörte die Gabelweihe auf, mit den Flügeln zu schlagen, spreizte ihren Schwanz und stieß im Sturzflug durch die Luftschichten auf ihr Opfer hinab. Sie blieb damit mehrmals erfolglos und legte sich vor der Sonne in Schräglage; die Federn sahen einen Moment lang aus wie ein von hinten beleuchteter Fächer aus Knochen und Fasern. Dann ließ sie sich abfallen, schwang sich erneut auf einer unsichtbaren Brise empor und flog entlang eines Streifens Wildnis zwischen den Feldern. Schließlich ließ sie sich auf einer gelben Lupine nieder und sah sich in alle Richtungen um: ein Landvogel, der im letzten Biotop jagte.
Eine Familie von Seevögeln war von ihrem Zug wieder zum Point heimgekehrt und hatte sich an den Klippen häuslich eingerichtet: Es war Brutzeit. Schwarz mit roten Füßen, auf dem Rücken weiße Flecken, dicke Torpedokörper: Paare von Alken, die ihre Nester auf kleinen Simsen bauten, wo ihre Eier vor Krähen sicher waren, und die gruppenweise wie Korken in der Brandung trieben. Ihre Zahl und ihr Zusammenhalt sind ihre Stärke. Wenn sie nach Fischen tauchen, fliegen diese seltsamen kleinen Vögel geradezu im Wasser, eher angetrieben von ihren Flügeln als von ihren Füßen, doch die Anpassung hat ihren Preis: Ihre kurzen, scharfen Flügel arbeiten wie verrückt, um den korpulenten Körper voranzubringen. Hunderte von Metern lange Bewässerungsrohre wurden in Gang gesetzt, Farmer riefen den Arbeitern Anweisungen zu. Im Wasser war kein einziger Surfer. Ich war schließlich der Einzige zwischen rötlich-braunen Kelp-Streifen, mit dem Tosen der Brandung im Ohr, und niemand, mit dem ich reden konnte. Ein schwarzer Kormoran mit weiß gefleckten Flanken kam mit schweren Flügelschlägen knapp über den Wellen herangeflogen. Plötzlich hielt er im Flug inne, beugte sich vor und tauchte den Kopf unter Wasser, um nach Bodenbewohnern Ausschau zu halten, nach Krabben und Aalen; mit seinen ans Wasser angepassten Augen konnte er unter Wasser viel mehr sehen als ich. Und dann war er plötzlich abgetaucht, kam einen Moment später wieder hoch und hatte einen Fisch mit seinem Schnabel aufgespießt. Über zweitausend Jahre haben chinesische Fischer diese schlanken Vögel trainiert, damit sie für sie auf Beutefang gehen. Sie werden in Gefangenschaft aufgezogen und mit Tofu ernährt, man stutzt ihnen die Flügel und lehrt sie, auf gesprochene und gepfiffene Kommandos zu reagieren. Halsringe halten sie davon ab, den Fang zu schlucken, doch nach sieben Fischen wird der Ring abgenommen, und sie fangen für sich selbst. Wenn sie den siebten Fisch gefangen haben, so ist zu lesen, weigern sie sich zu tauchen, bis das Halsband gelockert ist – Kormorane können zählen.
Ich surfte eine Welle, rutschte, verlor das Gleichgewicht und wurde langsamer. Der Sog der Vorderfront der Welle zog mich mit. Deplaziert in der energiegeladenen Wölbung wurde ich vom Board geworfen, hatte es zwischen den Beinen und wurde damit herumgewirbelt. Nach hinten gezerrt, unten gehalten, freigelassen. Kam hoch an die Luft inmitten von Treibgut, das die Zone markierte, wo die Kraft des Elements gewaltet hatte. Aufsteigende Blasen hingen tief im Wasser wie geborstene weiße Kapillargefäße, versorgten die Riffbewohner mit Luft, zerzausten das Fell des Otters. Darüber durchzogen Schaumtentakel sprudelnd und zischend das
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