Symphonie des Todes
schlichtweg amüsieren.«
»Wer sagt denn, dass ich das nicht längst schon tue?« Schließlich war sie nicht als Polizistin hier, sondern als Roarkes Frau. Was hieß, dass sie gezwungen war, sich unter die Gästeschar zu mischen und die größte Qual über sich ergehen zu lassen, die es in ihren Augen gab: Smalltalk mit irgendwelchen Leuten, mit denen es wahrhaftig nichts zu reden gab.
Da er sie genauestens kannte, hob er ihre Hand an seine Lippen und erklärte beeindruckt: »Du bist wirklich gut zu mir.«
»Wollen wir hoffen, dass du das nicht so schnell vergisst. Also gut.« Sie nahm einen kräftigenden Schluck aus ihrem Glas. »Wem wirfst du mich zum Fraß vor?«
»Ich denke, wir sollten mit der Hauptperson beginnen. Lass mich dir Magda vorstellen. Sie wird dir gefallen.«
»Eine Schauspielerin«, grummelte Eve erbost.
»Es ist hässlich, wenn man Vorurteile hat. Und auf jeden Fall ist Magda Lane viel mehr als eine bloße Schauspielerin«, erklärte er und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge auf die große Mimin zu. »Sie ist eine Legende. Sie ist seit fünfzig Jahren im Geschäft und hat jeden neuen Trend, jeden neuen Stil, jede Veränderung in ihrem Metier nicht nur schadlos überstanden, sondern positiv genutzt. Dafür reicht Talent allein nicht aus. Dafür braucht man Rückgrat, und davon hat sie eindeutig jede Menge.«
Eve hatte ihren Gatten niemals zuvor derart schwärmerisch erlebt, und so erklärte sie lächelnd: »Du scheinst ein echter Fan von ihr zu sein.«
»Und ob. Als ich als Kind in Dublin lebte, gab es einen Abend, an dem ich von der Straße verschwinden musste, weil ich ein paar geklaute Brieftaschen und andere Kleinigkeiten in der Tasche hatte und mir die Polizei dicht auf den Fersen war.«
»Typisch Straßengöre.« Sie verzog tadelnd ihren vollen, ungeschminkten Mund.
»Tja, vielleicht, auf jeden Fall bin ich in einem Kino abgetaucht. Ich war zirka acht und war der festen Überzeugung, dass ich mich bei dem Drama, das gerade geboten wurde, zu Tode langweilen würde, aber dann saß ich im Dunkeln und sah zum ersten Mal Magda Lane als Pamela in Pride’s Fall.«
Er zeigte auf ein mit unzähligen eisig blau glitzernden Steinen besetztes, ausladendes, strahlend weißes Ballkleid. Die Droiden-Replik der Mimin, die es trug, drehte sich elegant im Kreis, machte einen graziösen Knicks und hielt sich dabei einen leuchtend weißen Fächer vors Gesicht.
»Wie zum Teufel hat sie sich in diesem Ding bewegt?«, überlegte Eve. »Sieht aus, als ob es mindestens eine Tonne wiegt.«
Er fing an zu lachen. Typisch Eve, dass sie nur die unpraktische, nicht aber die glamouröse Seite dieses Kleides sah. »Wie man mir erzählt hat, wiegt das Kleid tatsächlich beinahe dreißig Pfund. Sie hat offenkundig bereits damals jede Menge Rückgrat gehabt. Auf alle Fälle trug sie dieses Kleid, als ich sie zum ersten Mal im Kino sah. Und während dieser Stunde vergaß ich total, wo ich war, wer ich war, dass ich einen Bärenhunger hatte und dass mir zu Hause Prügel drohen würden, falls nach Meinung meines Alten nicht genügend Geld in den geklauten Brieftaschen zu finden war. Sie zog mich völlig in ihren Bann.«
Eine Störung ihrer Unterhaltung verhinderte er dadurch, dass er lässig winkte oder freundlich lächelte, wenn jemand nach ihm rief. »In jenem Sommer habe ich mir Pride’s Fall noch vier Mal angesehen und sogar dafür bezahlt. Na ja, zumindest einmal habe ich brav eine Eintrittskarte gekauft. Und auch später habe ich mir stets, wenn ich der Wirklichkeit entfliehen wollte, irgendwelche Filme, vorzugsweise mit ihr, angesehen.«
Da sie den kleinen Jungen deutlich vor sich sehen konnte, der allein im Dunkeln saß und sich von den Bildern auf der Leinwand in eine andere Welt entführen ließ, ergriff sie seine Hand.
Als achtjähriger Junge hatte er eine Welt für sich entdeckt, die außerhalb der grausamen Gewalt und des fürchterlichen Elends seines eigenen Lebens lag.
Als achtjähriges Mädchen hatte sie, zu traumatisiert, um sich an irgendwas aus ihrem bisherigen Leben – und sei es nur ihren Namen – zu erinnern, die Wandlung zu Eve Dallas durchgemacht.
War das nicht fast das Gleiche?
Eve erkannte die Schauspielerin sofort. Auch wenn Roarke inzwischen nicht mehr ins Kino ging, hatte er doch Tausende von Filmen auf Diskette, und sie hatte in dem Jahr, seit sie ihn kannte, mehr Zeit vor dem Fernsehbildschirm zugebracht als in den gesamten dreißig Jahren zuvor.
Magda Lane war nicht zu
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