syrenka
über ihren Fehler setzte augenblicklich und mit aller Heftigkeit ein. Er breitete sich in ihr aus wie ein hungriges Feuer in einem trockenen Wald. Jeder selbstsüchtige Gedanke, der ihrem eigenen Wohl gegolten hatte, schwand. Jede Sorge um ihr eigenes Leben und ihr eigenes Glück schmolz dahin. Übrig blieb nur noch der Drang, ihr Kind zu schützen.
Sie nahm das Baby auf ihren Schoß, umschloss es mit ihrem Körper und drückte ihre Wange an die zarte Kopfhaut des Kindes. »Nimm mich an ihrer Stelle«, flüsterte sie aus tiefstem Herzen.
Marijns ausgedörrter Körper bemächtigte sich Syrenkas warmer Seele. Syrenka gab sie gern hin, während Noo´kas vom Meer aus die dazu nötige Magie mit Vergnügen beisteuerte. Im selbenMoment, als Syrenka zusammenbrach, holte das Baby tief Atem und stieß einen kräftigen Schrei aus.
Syrenkas Leben begann sich zu verflüchtigen. Während sie mit dem Gesicht auf dem Boden lag, wanderten ihre Gedanken zurück zu Ezra. Er war am Strand gestorben. Sofern Noo´kas sie nicht betrogen hatte, war seine Seele nun dort gefesselt. Vielleicht konnte sie ihn ein letztes Mal sehen. Um sich zu verabschieden.
Sie zwang sich auf die Knie und von dort aus in den Stand. Nach Tausenden von Jahren physischer Kräfte war sie überrascht, wie es sich anfühlte, schwach zu sein. Sie wickelte das Baby so gut sie konnte in die Tücher und nahm es auf die Arme. Dann taumelte sie zur Kirchtürschwelle. Sie küsste das Kind und legte es vorsichtig auf den steinernen Boden. Ihre Beine knickten weg, sie klammerte sich an den Türrahmen und versuchte, Kraft zu sammeln. Die Zeit lief ihr davon.
Der Weg führte bergab, aber ihre Schritte waren klein und unsicher. Zweimal fiel sie hin, und zweimal zwang sie sich, wieder aufzustehen. Schließlich hatte sie ihr Ziel fast erreicht. Sie überquerte die Wiese bis zur Steintreppe, ließ sich auf alle viere nieder und kletterte wie ein Kind rückwärts die Stufen hinab.
Es herrschte Hochwasser und die unterste Stufe war bereits überspült. Syrenka drehte sich herum, stieß die eiserne Pforte auf und ließ sich in die auslaufenden Wellen fallen. Bebend hob sie den Kopf und blickte den Strand entlang nach Norden und nach Süden.
Ezra war nirgends zu sehen.
Sie wollte nach ihm rufen, aber sie hatte keine Stimme mehr.
Während ihr der Kopf auf die Brust sank und sich ihr Blick verschleierte, sah sie ihre Schwester, die sich durch das flache Wasser auf sie zubewegte. Behutsam zog Needa Syrenka ins Meer hinein und tauchte mit ihrem Körper in die Tiefen, wohin er gehörte.
Langsam und wie ein feines Rinnsal entwich Syrenkas letzter Atemzug ihrer Lunge.
Und einen Augenblick später tanzte der letzte Beweis ihres menschlichen Daseins in Luftblasen aus den Tiefen empor und durchbrach sanft die vom Mond beschienene Wasseroberfläche.
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