Tabu: Thriller
nichts Ernstes. Aber der Räuber ist daraufhin abgehauen. Ohne Geld. Nichts Dramatisches, das ist keine Schlagzeile wert.«
»Ist es möglich, mit ihm zu reden? Mit dem Kunden, meine ich.«
Der Polizist seufzte ärgerlich.
»Nicht?«
Er starrte durch sie hindurch.
»Entschuldigung?« Sie blieb beharrlich. »Ich würde gerne ein Interview mit ihm machen!«
Er stand abrupt auf und sah sie an. »Junge Frau!«
Er hörte sich an wie ein alter Oberlehrer, und sie konnte ein resigniertes Lachen nicht zurückhalten. »Lieber Herr Sheriff, bitte nennen Sie mich nicht…«
Er knallte die Autotür zu. »Er hätte getötet werden können!«
»Ja, aber…«
»Und ihr Journalisten habt natürlich nichts Besseres zu tun, als einen Helden aus ihm zu machen! Einen verdammten Helden, auf dass dann irgendein anderer Dummkopf genau den gleichen Fehler begeht und erschossen wird und schließlich auf euren Titelseiten landet.«
Sie sah ihn sauer an. »Entschuldigen Sie, ich versuche nur, meine Arbeit zu machen.«
»Na, herzlichen Dank.«
»Außerdem arbeite ich für das Fernsehen…«
»Das ist doch alles der gleiche… Mist!«
»…wir haben keine Titelseiten!«
Ohne ihr zu antworten, ging er an ihr vorbei und stieg über das rot-weiße Absperrband.
»Ihnen auch einen schönen Tag!«, rief sie ihm nach.
Während Roffern die üblichen Aufnahmen machte – Einsatzfahrzeuge, Absperrungen, den besagten Zettel, die Gruppen der Schaulustigen – rief Kristin den Chef vom Dienst an und erstattete darüber Bericht, was sie bis jetzt hatten. Nicht viel. Sie hoffte, zurückbeordert zu werden, aber der Dienstchef bat sie zu warten und den Kunden zu interviewen, der den Raub verhindert hatte. Genau wie sie befürchtet hatte; nach vier Monaten beim Fernsehen konnte sie die Gedanken der Redakteure lesen, noch ehe diese sie selbst gedacht hatten. »Bähhh!«, sagte sie und fragte, ob er wirklich darauf bestand. Das tat er.
In einem Kiosk kaufte sie eine Cola light von einem Mann, der sie fragte, ob er sie möglicherweise auf TV2 gesehen hätte. Sie setzte sich neben Roffern auf den Bürgersteig. Der Krankenwagen fuhr weg. Dafür kam ein weiterer Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene. Ein dreizehn- oder vierzehnjähriger Junge kam zu ihr und bat um ein Autogramm. Sie wurde rot, als sie seinen Ranzen signierte.
Roffern murmelte: »Fifteen minutes of fame.«
Als sie vor vier Jahren beim Dagbladet angestellt wurde, hatte sie geglaubt, sie würde dort ewig bleiben. Trotzdem hatte sie das Angebot von Kanal 24 wie die selbstverständlichste Sache der Welt angenommen. Es war fast so, als gäbe es zwei widerstrebende Kräfte in ihr, die sie am Laufen hielten: das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität und der Drang nach Veränderung und Spannung.
Trotzdem… deswegen den Traumjob beim Dagbladet dranzugeben?
Schon als kleines Mädchen hatte sie mit Begeisterung geschrieben. Abends hatte sie sich nach den Hausaufgaben und dem Handballtraining in ihrem Zimmer eingeschlossen und kleine Gedichte, Novellen und Skizzen zu Papier gebracht. Sie konnte sich noch gut an das Kribbeln in ihrem Bauch erinnern, als die Lokalzeitung mehr als eine halbe Seite für eine Weihnachtserzählung von ihr einräumte, die sie eingeschickt hatte. Als sie auf die weiterführende Schule ging, hatte sie abends einen Nebenjob bei ebendieser Zeitung, und als sie als Austauschschülerin in den USA war, schrieb sie für die Schulzeitung. So war sie beinahe zufällig und ohne irgendwelche Ideale oder Enthüllungswünsche zum Journalismus gekommen.
Sie hatte vier Jahre für eine Zeitung in Trondheim gearbeitet, als sie sich für die Stelle als Feature-Journalistin beim Dagbladet bewarb. Ein Traumjob. Gunnar Borg hatte ihr damals den Tipp gegeben. Und sie hatte die Stelle bekommen. Sie verstand nicht, warum. Sie hatte Gunnar gefragt, eine der Eminenzen der Zeitung, doch der hatte nur auf seine übliche Weise mit den Schultern gezuckt und gesagt, sie sei wohl die Beste gewesen. Die Beste ? Okay, sie schrieb gut, war kreativ und teamfähig, aber ehrlich: Es hatten insgesamt hundertachtundsechzig Bewerbungen auf dem Stapel gelegen. Einhundertachtundsechzig! Da den gewünschten Job angeboten zu bekommen, war wie ein Sechser im Lotto, weshalb sie sich wie eine Verräterin vorgekommen war, als sie gekündigt und bei Kanal 24 angefangen hatte.
Sogar ihren Freundinnen gegenüber rechtfertigte sie sich, beteuerte, das habe nichts mit Exhibitionismus zu tun. Dabei wusste sie
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