Tacheles
sagte er dann, als der Ober nah genug an ihn herangetreten war. Dabei verkniff sich Bronstein ein leichtes Lächeln nicht, da ihn der seiner Bestellung innewohnende Wortwitz amüsierte.
Der Rest des Leitartikels bestand aus Lobhudeleien auf die heimische Regierung, die wie ein Fels in der Brandung stehe, während der Nationalsozialismus eben seine Götterdämmerung erlebe. Es sei nicht die Vaterländische Front, sondern vielmehr Hitler, der vor einem Trümmerfeld stehe. Doch, so wusste Bronstein, dafür, dass die Nazis vor ihrem Untergang standen, waren sie in Österreich noch überaus lästig. Als Beamter des Sicherheitsbüros kannte er die Zahl nationalsozialistischer Anschläge und Attentate, und die war gerade in den letzten Wochen nahezu dramatisch angestiegen. Von einer Beruhigung der Lage konnte keine Rede sein. Insofern schien Bronstein die Aussage seines obersten Chefs, Sicherheitsminister Fey, doch etwas verwegen. Dieser behauptete nämlich, wie Bronstein herausfand, als er umblätterte, in Österreich sei die öffentliche Sicherheit gewährleistet. Natürlich, Fey war der oberste Sicherheitsbeamte des Landes, und ihm, Bronstein, stand es ganz sicher nicht zu, die Erkenntnisse dieses Mannes in Zweifel zu ziehen. Doch sein Arbeitsalltag ließ ihn eher zu dem Schluss kommen, dass die Sicherheit in Österreich bestenfalls teilweise gesichert war – und manchmal nicht einmal das. Immerhin konzedierte der Minister, dass die zahlreichen Attentate der letzten Zeit manche Bevölkerungskreise verzagt gemacht und eingeschüchtert hatten, dennoch habe die Exekutive die Lage vollständig im Griff. Nun ja, diese Formulierung hätte er, Bronstein, an dieser Stelle nicht gebraucht, doch erwusste aus einem Vierteljahrhundert Staatsdienst, dass einem Beamten eine eigene Meinung bestenfalls im privaten Kreise anstand, und selbst dort enthielt man sich ihrer nach Tunlichkeit. Die politischen Systeme, so hatte er im Laufe der Jahre gelernt, kamen und gingen, und alle mussten sie sich darauf verlassen können, dass der Beamtenapparat loyal zum Staate stand. Denn ohne eine effiziente und tugendsame Verwaltung war im wahrsten Sinn des Wortes kein Staat zu machen, egal, ob es sich um eine Monarchie, eine Demokratie, eine ständische Ordnung oder selbst um eine Diktatur wie in Deutschland handelte. Insofern musste man als Beamter eigentlich gar nicht flexibel sein. Den Anweisungen der Vorgesetzten war Folge zu leisten, und zwar ungeachtet der Person. Ob es sich um einen kaiserlichen Baron, einen sozialdemokratischen Gewerkschafter oder um einen Militär handelte, in der Verwaltung galt das hierarchische Prinzip – und würde auch immer gelten. Und im Zweifelsfall kam das alte Soldatenwort zum Tragen: Dienstgrad entscheidet.
Und so gesehen mochte Fey Recht haben, wenn er mit den Worten schloss, es liege keinerlei Ursache zur Beunruhigung vor. Bronstein trank seine zweite Tasse Kaffee aus und überlegte, ob er eine dritte bestellen sollte. Er zündete sich eine weitere „Donau“ an und nahm die „Reichspost“ zur Hand. Wollen wir sehen, wie die Parteizeitung die Dinge bewertet, dachte Bronstein und warf einen Blick auf die Titelseite. Dort wurde von einem Komplott gesprochen. Ein großer Teil der SA sei im Begriff gewesen, sich gegen den Führer und die Partei zu erheben. Bronstein las den „Völkischen Beobachter“ aus Prinzip nicht, doch er war sich sicher, anders hätte es auch das Leibblatt des Nationalsozialismus nicht ausgedrückt. Immerhin aber erfuhr man aus der „Reichspost“, dass sich Röhm am Abend selbst entleibt habe. Auch in diesem Punkt, so war sich Bronstein sicher, folgte die „Reichspost“ der offiziellendeutschen Darstellung. Es überraschte ihn aber, dass auch der ehemalige Reichskanzler Schleicher in die Verschwörung der SA verwickelt gewesen sein sollte. Der preußische Junker und die pöbelnden Braunroten, das passte so gar nicht zusammen, meinte Bronstein, der wachsenden Unglauben hinsichtlich des Berichts der „Reichspost“ an sich registrierte. Angeblich hatte Schleicher versucht, sich mit der Waffe in der Hand gegen die Verhaftung zu wehren, weshalb nicht nur er, sondern auch gleich seine Frau erschossen worden seien. Bronstein war viel zu sehr Polizist, um dieser Darstellung Glauben schenken zu können. An dieser Stelle war die „Reichspost“ ohne Frage nationalsozialistischer Propaganda aufgesessen, und das würde für sie regierungsintern sicherlich Konsequenzen haben. Doch das konnte
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