Tage der Freuden
sie ohne Zorn, mit Milde vielmehr, in einem klaren und verzweifelten Gefühl völliger Vernichtung seine Hand zurückstieß, mit der er sie berühren wollte. Während zweier Tage glaubte er sie verloren oder vielmehr sie wiedergefunden zu haben. Und doch konnte diese unfreiwillige Liebesprobe in ihrem ganzen traurigen Strahlenschimmer Honoré nicht genügen. Hätte er auch die nicht mögliche Gewißheit erlangt, daß diese Frau niemals jemand anderem als ihm gehört habe, so hätte doch dieses unbekannte Leid, das sein Herz am Abend durch die Worte des Herrn von Buivres kennengelernt hatte, oder ein anderes Leid derselben Art, oder die Erinnerung an dieses Leid, ihm auch weiterhin denselben Schmerz bereitet, selbst angesichts aller Beweise, daß der Schmerz sinnlos und unbegründet war. So zittern wir noch beim Erwachen in der Erinnerung an den Mörder, wenn wir auch klar wissen: er war die Illusion eines Traumes, und so leiden die Amputierten Schmerzen ihr ganzes Leben lang an dem Bein, das sie nicht mehr besitzen.
Vergeblich machte er am Tage lange Spaziergänge, suchte sich zu Pferde, auf dem Zweirad, beim Fechten Ermüdung zu verschaffen. Vergeblich hatte er Françoise wiedergesehen, hatte sie nach Hause begleitet, hatte an diesem Abend von ihren Händen, von ihrer Stirn, von ihren Augen das Vertrauen, den Frieden und eine honigsüße Milde wiedergewonnen. Er kam in sein Heim zurück, tief beruhigt und reich an duftendem Vorrat. Aber kaum war er daheim, als die Unruhe wieder begann. Er warf sich schnell in sein Bett, um einzuschlafen, bevor sein Glück getrübt wurde, denn dieses Glück hatte er mit aller Vorsicht, mit dem ganzen Weihrauch seiner frischen, erst eine Stunde alten Zärtlichkeit eingehüllt, nun sollte es die Nacht durchdauern bis zum nächsten Morgen, unberührt und ruhmreich wie ein Prinz von Ägypten. Aber er fühlte, daß die Worte von Buivres, oder eines dieser unzähligen Bilder, die er seitdem in seiner Phantasie geformt hatte, nun klar vor dem Angesicht seines Geistes erscheinen mußten, und dann war es mit dem Schlaf zu Ende. Noch war dieses Bild nicht wiedererschienen, aber er fühlte es ganz nahe, er bäumte sich dagegen auf, er zündete eine Kerze an, las, mühte sich mit dem Sinn von gelesenen Sätzen ab. Er wollte mit ihnen sein Hirn füllen, wollte es ja nicht leer lassen, damit dieses schreckliche Bild nicht einen Augenblick Zeit oder die kleinste Spalte Raum vorfände, um hindurchzuschlüpfen.
Aber plötzlich war es doch eingetreten, er konnte es nicht mehr verjagen. Die Pforte seiner Aufmerksamkeit hatte er mit übermenschlicher Anspannung geschlossen gehalten, aber sie war doch unvermutet geöffnet worden, und nun war sie von neuem versiegelt, und er mußte die ganze Nacht mit diesem schrecklichen Gast verbringen. Es war sicher, es blieb dabei, er konnte in dieser Nacht ebensowenig schlafen wie in den anderen. Er ergriff die Flasche mit Brom, nahm drei Löffel voll und war sicher, daß er schlafen würde. Es erschreckte ihn sogar der Gedanke der Unentrinnbarkeit des Schlafes, es mochte kommen, was wollte. Er begann wieder an Françoise mit Schaudern zu denken, mit Verzweiflung und mit Haß. Er nahm sich vor, Vorteil daraus zu ziehen, daß man von ihrer Verbindung nichts wußte; er würde mit Männern Wetten auf Françoisens Tugend eingehen, diese Männer auf Françoise hetzen, sehen, ob sie nachgab, er würde sich bemühen, etwas zu enthüllen, alles zu erfahren, er würde sich in einem Zimmer verstecken (als er jung war, hatte er es getan, um sich zu belustigen) und alles mit ansehen. Dann würde er sich nicht rühren, erstens um der anderen willen, da er diese wie im Scherz darum gebeten hatte (denn, schlug er Lärm, welche Skandale, welche Wutausbrüche mußte er erwarten!), aber besonders um ihretwillen, um zu sehen, ob sie am folgenden Tage auf seine Frage: »Hast du mich nie betrogen?« mit demselben liebenden Blick antworten konnte: »Niemals.« Vielleicht beichtete sie alles und war nur seinen Ränken zum Opfer gefallen. Dies wäre dann die rettende Operation gewesen; seine Liebe wäre von der Krankheit geheilt, die ihn tötete, wie die Krankheit der Schlingpflanze den Baum zerstört, von dem sie lebt. (Es genügte ihm, sein Bild in dem von der Kerze schwach erleuchteten Spiegel zu betrachten, um dieses bestätigt zu wissen.) Doch nein, das Bild würde immer wiederkehren, viel stärker als die Bilder seiner Phantasie, und mit einer solchen Wucht auf seinen armen Schädel
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