Tage der Freuden
gezittert, wie eine Palme zittert mit allen ihren Zweigen, und hatte gebetet: »Mein Gott! Mein Gott! Gib mir die Gnade, sie immer zu lieben, mein Gott, das ist die einzige Gnade, die ich von dir verlange, bewirke du, der du alles kannst, daß ich sie immer liebe!«
Aber jetzt war es eine ganz körperliche Stunde, in der der volle Magen die Seele erdrückt, in der bloß die Haut regiert, die, noch frisch vom letzten Bade, sich unter feiner Wäsche wohl fühlt, und in der der Gaumen regiert, der den Zigarrenrauch schmeckt, und das Auge, in dem sich die nackten Schultern und das Wendende Licht spiegeln – – selbst in dieser Stunde wiederholte er seine Bitte, nur sanfter und inniger als beim ersten Male. Zweifelnd dachte er an ein Wunder, welches das psychologische Gesetz seiner Unbeständigkeit außer Kraft setzen sollte und das doch im Grunde ebensowenig zu brechen war wie die physischen Gesetze der Schwere und des Todes.
Sie sah in seine gedankenvollen Augen, erhob sich, kam an ihm vorbei; er hatte sie nicht gesehen, und nun sagte sie zu ihm, als seien sie noch weit voneinander entfernt, in ihrem langgezogenen, weinerlichen Ton, der ihn stets zum Lachen brachte, sagte ihm, als sei es die Antwort auf eine Frage: »Nun, was?«
Er lachte auf und sagte: »Kein Wort mehr, oder ich umarme dich, höre nur, ich umarme dich vor all diesen Leuten.«
Sie begann zu lachen, dann nahm sie wieder ihr trauriges, niedliches, mißvergnügtes Wesen an, um ihn zu erheitern, und sagte: »Ja ja, es ist wunderbar, du hast gar nicht an mich gedacht!«
Er sah ihr lächelnd ins Auge und sagte: »Kannst du aber gut lügen!« Und sanfter fügte er hinzu: »Du Böses, Böses!« Sie verließ ihn, um mit den andern zu plaudern. Honoré dachte: »Ich will versuchen, mein Herz im Augenblick, da es sich von ihr löst, so innig zurückzuhalten, daß sie es gar nicht fühlen soll. Ich werde immer gleich zärtlich bleiben, gleich achtungsvoll. Ich werde ihr meine neue Liebe verbergen, wenn eine solche in meinem Herzen die Liebe zu ihr verdrängt hat, wie ich schon jetzt die Vergnügungen verheimliche, die mein Körper (nur er) hier und da außer ihr genießt.« (Dabei sah er die Prinzessin von Alériouvre von der Seite an.) Und was ihr Leben betraf, so wollte er es nach und nach an andere Fäden zu binden versuchen. Er wollte nicht eifersüchtig sein und würde ihr selbst diejenigen bezeichnen, die ihr, heimlicher oder ruhmreicher als er, neue Huldigungen zu Füßen legen sollten. Je mehr er in Françoise eine andere Frau sah, die seinem Herzen schon fern stand, deren geistige Reize er aber noch in reinstem Genuß auskosten konnte, desto mehr schien ihm dieser Weg vornehm und leicht zu begehen. Die Worte von duldsamer und sanfter Freundschaft, von schöner Nächstenliebe, geübt gegen den Würdigsten und geübt mit dem Herrlichsten, was man hat – diese Worte schienen weich seinen gelösten Lippen zuzuströmen.
In diesem Augenblick hatte Françoise bemerkt, daß es zehn Uhr war, sie sagte guten Abend und schied. Honoré begleitete sie bis zum Wagen, im Dunkeln küßte er sie unklugerweise und ging zurück.
Drei Stunden später kehrte Honoré zu Fuß mit Herrn von Buivres heim, dessen Wiederkunft von Tonking man an diesem Abend gefeiert hatte. Honoré fragte ihn über die Prinzessin von Alériouvre aus, die zur selben Zeit Witwe geworden war und die schöner war als Françoise. Ohne daß Honoré gerade Verliebtheit für sie empfand, hätte es ihm doch viel Spaß gemacht, sie zu besitzen, wenn er nur sicher gewesen wäre, daß dies möglich sei, ohne daß es Françoise erfuhr und darunter Kummer litt.
»Man weiß gar nicht viel von ihr«, sagte Herr von Buivres, »oder wenigstens wußte man nichts vor meiner Abreise, denn seit meiner Rückkunft habe ich noch niemanden gesehen.«
»Alles in allem gab es heute abend keine leichten Eroberungen hier«, schloß Honoré.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Herr von Buivres. Bei diesem Punkt der Unterhaltung war Honoré zu seinem Hause gekommen, die Unterhaltung mußte ihr Ende finden, da fügte Herr von Buivres noch hinzu:
»Ausgenommen Frau Seaune, der Sie eigentlich auch vorgestellt worden sind, nachdem Sie doch an dem Diner teilgenommen haben. Wenn Sie auf diese Frau Lust haben, so läßt sich’s leicht machen; was mich betrifft, ich danke!«
»Aber was Sie mir sagen, ist mir neu«, sagte Honoré.
»Sie sind jung«, sagte de Buivres, »sehen Sie mal, heute abend war jemand da, der sich
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