Tagebuch eines Engels
Lebens festhielt. Während ihr das so durch den Kopf ging, rief ich ihr in Erinnerung: Margot, meine Liebe, du bist doch auch nicht besser. Du hast es auch nicht geschafft, der Vergangenheit zu entkommen. Noch nicht.
Toby drückte den Stift aufs Papier. Er schnalzte mit der Zunge und starrte an die Wand. »Es gibt da eine Sache, die ich wirklich gerne mal klargestellt haben möchte«, sagte er. Es folgte eine lange Pause.
Margot wusste sofort, dass er von Sonya sprach. Das Thema jetzt zu erörtern würde weniger bringen, als ihm die Absolution zu erteilen, die er wollte.
SchlieÃlich half sie ihm aus.
»Ich weiÃ, dass du nicht mit Son geschlafen hast.«
Er lieà den Stift auf den Tisch fallen. »Was?«
»Sie hat es mir selbst gesagt«, erklärte Margot sanft.
»Ja, aber â warum denn dann â¦?«
»Ich weià es nicht, Toby. Also frag nicht.«
Er stand auf, vergrub die Hände in den Taschen und fing an, auf und ab zu gehen. Dann endlich sprach er flüsternd aus, was sie beide wussten: »Wir hätten das hier schon vor Jahren tun sollen, was?«
»Ja. Hätten wir.«
Er sah auf die Papiere. »Du unterschreibst zuerst. Dann unterschreibe ich und bringe alles zum Anwalt. Und dann ist es überstanden.«
»Okay.« Jetzt war Margot dran. Sie nahm den Stift und betrachtete die auf ihre Unterschrift wartende Linie. Ja, was denn? Hast du etwa geglaubt, dass es leicht sein würde?, fragte ich.
Sie legte den Stift hin. »Das kann warten. Lass uns erst mal mittagessen gehen.«
Sie gingen zu ihrem ehemaligen Stammlokal im East Village und setzten sich drauÃen an einen Tisch neben einer ganzen Horde lärmender Touristen. Gut. So konnten sie darüber reden, wie heià es war, wie die Jahreszeiten immer mehr durcheinandergerieten und ob einer von ihnen wohl die Reportage über die Erderwärmung gesehen habe, in der gezeigt wurde, dass die Welt im zweiundzwanzigsten Jahrhundert komplett überschwemmt sein würde? Immer wieder schoben sie sich gegenseitig neue Smalltalk-Themen zu, die sie von ihrem schlechten Gewissen ablenkten. Sie sprachen über Tobys nächstes Buch. Ãber ihre Wurzelbehandlung. Ãber gemeinsame Nenner.
Vergessen waren die Scheidungspapiere.
James kam, um mich zu holen. Es war dunkel. Ich hatte bereits Polizeisirenen vorbeibrausen hören. James war völlig auÃer Atem, die Augen sahen aus, als würden sie gleich aus ihren Höhlen springen.
»Was ist passiert?«, fragte ich, und er fing an zu weinen.
Theo hatte jemanden umgebracht.
Er hatte ihm ein Messer in den Nacken gerammt und ihn dann so brutal verprügelt, dass er in seinem eigenen Blut ertrunken war. AuÃerdem hatte Theo ihm während der Prügelei zwei Kugeln ins Bein geschossen.
»Wieso hat er das getan?«, rief ich. Noch bevor James antworten konnte, platzte Theo zur Wohnungstür herein. So laut, dass Toby und Margot aufwachten und aus ihren Schlafzimmern gelaufen kamen. Als sie Theo sahen, dachten sie natürlich sofort, das Blut, das ihm von den Händen, aus den Haaren und von den Klamotten tropfte, sei seins. Was es zum Teil auch war. Er hatte sich die Nase gebrochen und eine tiefe Stichwunde in der Hüfte. Der Rest war das Blut des toten Jungen.
Margot rannte ins Bad, um Handtücher und Verbandszeug zu holen. »Ruf den Notarzt!«
Toby suchte erst hektisch das schnurlose Festnetztelefon, zückte dann aber sein Handy und tippte die Notrufnummer.
Gerade als Toby durchgekommen war und seine Adresse angeben wollte, ertönte von der anderen Seite der Tür eine Stimme: »Aufmachen! Polizei!«
Toby öffnete die Tür und wurde sofort gegen die Wand gedrückt und mit Handschellen gefesselt. Theo und Margot passierte das Gleiche.
Und während all das geschah, schrie Theo immer wieder: »Er hat sie vergewaltigt! Er hat sie vergewaltigt!«
â 26 â
BLINDES VERTRAUEN
In meiner Version meines Lebens war ich zu diesem Zeitpunkt in Sydney gewesen. Ich hatte den achtzehnten Geburtstag meines Sohnes pflichtschuldigst mit einem Telefonanruf und einer Ãberweisung gewürdigt und den Rest des Tages damit verbracht, Kits neues Manuskript zu lesen. Ich war gerade mitten in einer Besprechung mit einem Klienten gewesen, als Toby anrief, um von Theos Festnahme zu berichten. Aus irgendeinem Grund hatte ich das alles heruntergespielt. Als ich ein paar Tage später in New York
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