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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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stimmte sie traurig. Sie hatte gehofft, dass er tapferer sein würde. Aber ich wusste, wenn er sich gleichgültig gegeben hätte, hätte sie geweint wie ein Baby. Tatsache war, dass die beiden die ganzen letzten Jahre immer noch aufeinander reagiert hatten. Jetzt war es an der Zeit, ruhig und neutral zu bleiben. Und das würde nicht leicht werden.
    Â»Ich heirate«, sagte sie schließlich.
    Â»Verstehe«, antwortete Toby in seinen Kaffee. »Wann?«
    Â»Sobald du und ich … du weißt schon.«
    Â»Was?«
    Â»â€¦Â die Sache mit dem großen S hinter uns gebracht haben.«
    Â»Hast du die Papiere denn nicht unterschrieben?«
    Â»Nein.«
    Â»Ach? Und warum nicht?«
    Â»Toby …«
    Â»Nein, im Ernst, ich möchte das wirklich gerne wissen.«
    Â»Ich weiß es nicht. Okay?«
    Schweigen. »Wer ist es?«
    Â»Wer?«
    Toby lachte. Wieder in seinen Kaffee. »Der Kerl. Mr. Delacroix.«
    Â»Kit. Auch bekannt als K. P. Lanes.«
    Â»Aha. Ein Klient. Ist das nicht illegal?«
    Â»Nein, Toby. Ansonsten wären wir beide nämlich genau genommen reif fürs Gefängnis.«
    Â»Ach ja. Weil wir noch verheiratet sind.«
    Â»Ja. Wir sind noch verheiratet.«

    Es waren acht Monate vergangen, seit sie Theo das letzte Mal gesehen hatte. Acht Monate entsprechen bei einem Teenager in etwa den Entwicklungsschüben, die Kleinkinder durchmachen: Theo war aus seinem kleinen, drahtigen Körper herausgewachsen und hatte sich in einen großen, breitschultrigen Fußballspieler verwandelt. Toby und sein Sohn sahen sich mit einem Mal überhaupt nicht mehr ähnlich, und man hätte mit Fug und Recht einen Vaterschaftstest verlangen können. Man stelle sich die beiden mal nebeneinander vor: der feingliedrige Toby mit den sanften Gesichtszügen, den dünnen, goldblonden Haaren, schmalen, femininen Händen und seiner rechteckigen Metallbrille auf der schmalen Römernase; daneben Theo, der sich in den Türen duckte, um sich nicht den Kopf anzustoßen, mit seiner dicken, das Gesicht dominierenden Knollennase. Seine Stimme war (dank seiner Begeisterung fürs Haschrauchen) ungewöhnlich tief, und sein Kinn stand im rechten Winkel von seinem Kieferknochen ab bis zu dem Punkt, wo sich unter seinem Mund gerade ein Pickel bildete. Seine Haare waren lang und standen ihm in einem ungepflegten, knallroten Irokesenschnitt zu Berge. Seine Klamotten – allesamt schwarz – hingen schlaff an ihm herunter. Selbst seine Schuhe.
    Â»Hallo, Mom«, sagte er, als Margot um drei Uhr nachmittags an seine Zimmertür klopfte und ihn im Bett vorfand. Es dauerte ein, zwei Minuten, bis sie seine Veränderung erfasste – wie er in die Höhe geschossen war, wie sein halbnackter Körper plötzlich eine Hügellandschaft aus Bizeps und Trizeps war. In der Zimmerecke sah sie eine Hantelbank stehen. Er setzte sich auf und holte eine Flasche Wodka unter dem Bett hervor. Bevor er sie ansetzte, legte er kurz den Finger auf die Lippen und machte: »Pssst. Nicht Dad verraten.«
    Ich beobachtete sie dabei, wie sie ihm gerade den Kopf waschen wollte – und es dann doch ließ. Was sollte sie ihm schon sagen?
    Also sagte sie einfach nur: »Hallo, Theo.« Und sonst nichts.
    Tobys Anwalt brauchte eine ganze Woche, um neue Scheidungspapiere zu erstellen. Ich beobachtete Toby vom Wohnungsfenster aus, wie er mit dem Umschlag unter dem Arm nach Hause kam. Seine Aura war gedämpft und grau, seine schon immer zerbrechlichen Knochen geschwächt. Aus der Entfernung sah er deutlich älter aus als vierundvierzig. Stand man direkt vor ihm, waren seine Augen aber immer noch die gleichen.
    Er stellte Margot gegenüber einen Stuhl auf und las alles vor. Margot spielte mit ihrem Verlobungsring.
    Â»Na, dann wollen wir mal sehen«, sagte Toby und tat, als müsse er erst die Stelle finden, an der er unterschreiben musste – obwohl sein Anwalt diese deutlich mit einem großen X markiert hatte. »Ah, da.«
    Margot sah ihm zu. Sie sagte nichts, weil sie Angst hatte, es ihm nur noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon für ihn war. Sie glaubte im Großen und Ganzen, Tobys Zögern hinge mit seiner Unfähigkeit zusammen, sich von der Vergangenheit zu lösen. Der Chevy, seine alten Schuhe, selbst die Art der Bücher, die er schrieb … Das waren alles Anker, mit denen er sich an den glücklichsten Jahren seines

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