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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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nach Luft und sieht mir direkt in die Augen, als ich mich über sie beuge, sie in den Arm nehme, weine und auf sie einrede. Es ist okay, alles ist gut, jetzt ist es vorbei. Und dann sieht sie mich an und streckt die Hand nach mir aus. Ich ergreife sie.
    Wir sind eins.

– 28 –
    DIE STRASSE ZWISCHEN DEN HÜGELN
    Unter Engeln herrscht eine Innigkeit, wie es sie nur unter heiligen Wesen gibt. Als ich ein Mensch war, hätte ich die Anforderungen meiner Verantwortung als Engel niemals durchschauen können, ohne das alles komplett voyeuristisch zu finden. Nur als Engel konnte ich verstehen, wie hochgradig mitfühlend diese Art des Schutzes in Wirklichkeit war und wie liebevoll die Gemeinschaft. Nur als Engel konnte ich den Tod als das begreifen, was er wirklich ist.
    Ich stand auf und blickte auf Margots toten Körper hinunter und fühlte und erlebte ganz genau das Gleiche wie beim ersten Mal direkt nach meinem Tod. Der Schock, als ich mich selbst ohne Herzschlag vor mir liegen sah. Das Entsetzen, als ich begriff, was das bedeutete. Mit einem Unterschied: Dieses Mal akzeptierte ich es. Ich streckte nicht die Hand aus, um ihr über die Wange zu streichen, weil sie ich war. Ich streckte sie aus, um mich dessen zu vergewissern, was ich bereits ahnte: dass ich am Ende des Weges durch das sterbliche Leben angekommen war. Jetzt würde ich Margot verlassen.
    Nan kam kurz vor Toby. Aus Barmherzigkeit, vermute ich. Ich hätte es nicht ertragen, zu sehen, wie er freudig erregt, mit klopfendem Herzen in das Hotelzimmer stolpert und dort Margots Leiche findet. Die Vorstellung allein war schon schlimm genug. Nan bat mich, ihr zu folgen, und zwar schnell.
    Tränenblind vergrub ich kurz die Nase in Tobys Jacke und sog seinen Duft ein. Ich wollte so gerne irgendetwas hinterlassen, eine Nachricht vielleicht, irgendeinen Hinweis darauf, dass ich ihn – auch wenn ich ihn nie wiedersehen würde – immer lieben würde. Doch ich konnte nichts tun, außer Nan hinaus in die Nacht zu folgen.
    Dann befand ich mich wieder in Theos dunkler, feuchter, stiller Zelle. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden und zeichnete. Er summte leise vor sich hin – die Melodie klang ganz ähnlich wie das Lied der Seelen. Am Fenster stand James im Mondlicht. Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm.
    Â»Gute Nachrichten«, sagte er und drückte meine Hände. »Tygren ist hier gewesen. Sie glaubt, dass sie Valita jetzt dazu bewegen kann, auszusagen.«
    Ich schloss die Augen und seufzte erleichtert. »Herrlich.« Dann fing ich an zu weinen.
    Â»Was ist denn los?«, fragte James. Ich sah zu Theo. Ich wusste nicht, wann ich ihn wiedersehen würde – und ob ich ihn je wiedersehen würde. Ich wollte es James erklären, aber ich brachte nur unverständliche, tränenerstickte Quietschlaute hervor, sodass er sich schließlich fragend an Nan wandte. Doch sie schüttelte den Kopf, als wolle sie sagen, es stünde ihr nicht zu, etwas zu sagen. Ich kauerte nieder und schlang die Arme um Theo. Er sah einen Augenblick auf, als spüre er, dass sich die Atmosphäre um ihn herum veränderte. Dann zeichnete er weiter. Er bedeckte den Schieferboden mit unzähligen Kreidekrokodilen.
    Â»Wir müssen los«, sagte Nan an mich gerichtet. James sah von Nan zu mir.
    Â»Wo wollt ihr hin?«
    Â»Margot ist tot.« Ich wischte mir über die Augen und atmete tief durch. »Ich bin hier, um mich von dir und Theo zu verabschieden.« Ich wollte noch so viel mehr sagen. »Du sollst wissen, dass ich niemandem auf dieser Welt mehr zutrauen würde, gut auf Theo aufzupassen, als dir.« Ich lächelte und wollte mich abwenden.
    Â»Halt.« Ernsten Blickes kam James auf mich zu. »Einen Moment noch … Ruth.« Er sah zu Nan. »Es ist wichtig. Dauert nur einen Moment.« Er nahm meine Hände und sah mich durchdringend an. »Du hast mich nie gefragt, wer ich früher war und warum ich Theos Engel bin.«
    Ich blinzelte. »Wer warst du?«
    Er sah mir tief in die Augen. »Ich war der Diamant, den du nicht retten konntest. Ich bin dein Sohn.«
    Ich trat einen Schritt zurück und ließ den Blick von ihm zu Theo wandern. Und dann sah ich die Ähnlichkeit zwischen ihnen, sie drängte sich mir auf wie eine Offenbarung: das trotzige Kinn, die eckigen, kräftigen Hände. Und ich dachte daran zurück, wie ich das Baby in Margots Bauch gesehen hatte, Seths

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