Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
selbst einmal vom Himmel gefallen, ja, aber sie war vorher sechs Monate tot gewesen und war nackt zurückgekommen, während Matt keine dieser Bedingungen erfüllte. Sie hatte eine prosaischere Erklärung im Sinn.
Und da war sie, die Erklärung. Sie lehnte an einem Baum und betrachtete mit einem kaum merklichen boshaften Lächeln den Schauplatz.
Damon.
Er war– beeindruckend; nicht so hoch gewachsen wie Stefano, aber mit einer undefinierbaren Aura der Bedrohlichkeit, die diesen Umstand mehr als ausglich. Er war wie immer tadellos gekleidet: schwarze Armani-Jeans, schwarzes Hemd, schwarze Lederjacke und schwarze Stiefel, was alles gut zu seinem achtlos vom Wind zerzausten dunklen Haar und seinen schwarzen Augen passte.
Gerade jetzt machte er Elena mit allen Sinnen darauf aufmerksam, dass sie ein langes weißes Nachthemd trug; sie hatte es mit der Idee gekauft, dass sie sich darunter umziehen konnte, falls es notwendig wurde, während sie unterwegs waren. Das Problem war, dass sie das normalerweise nur bei Sonnenaufgang tat, und heute hatte sie sich von ihrem Tagebucheintrag ablenken lassen. Und ganz plötzlich war das Nachthemd alles andere als eine passende Bekleidung für einen frühmorgendlichen Streit mit Damon. Es war zwar nicht durchsichtig und ähnelte eher Flanell aus Nylon, aber es war s pitzenbesetzt, vor allem am Halsausschnitt. Spitze rund um einen hübschen Hals war für einen Vampir– wie Damon ihr eröffnet hatte– ganz so, als schwenke man ein rotes Tuch vor einem tobenden Bullen.
Elena verschränkte die Arme vor der Brust.
» Du siehst aus wie Wendy«, bemerkte Damon, und sein Lächeln war boshaft, strahlend und definitiv anerkennend. Einschmeichelnd legte er den Kopf schräg.
Aber Elena wollte sich nicht einschleimen lassen. » Wendy wer?«, fragte sie, und genau in diesem Augenblick erinnerte sie sich an den Nachnamen des jungen Mädchens in Peter Pan und zuckte innerlich zusammen. Elena war immer gut gewesen, wenn es um diese Art von Schlagfertigkeit ging. Dumm nur, dass Damon besser war.
» Nun, Wendy… Darling «, sagte Damon, und seine Stimme war eine Liebkosung.
Ein Schauder überlief Elena. Damon hatte versprochen, sie nicht zu beeinflussen– seine telepathischen Kräfte nicht einzusetzen, um ihren Geist zu trüben oder zu manipulieren. Aber manchmal fühlte es sich so an, als käme er schrecklich nah an diese Grenze. Ja, es ist definitiv Damons Schuld, dachte Elena. Sie hatte keine Gefühle für ihn, die– nun, die etwas anderes als schwesterlich waren. Aber Damon gab niemals auf, ganz gleich, wie oft sie ihn zurückwies.
Hinter Elena erklang ein dumpfer Aufprall und ein glucksendes Geräusch, welches zweifellos bedeutete, dass Matt endlich vom Dach des Jaguars heruntergekommen war. Er stürzte sich sofort in den Kampf.
» Nenn Elena nicht Wendy Darling! «, rief er und sprach weiter, während er sich zu Elena umwandte. » Wendy ist wahrscheinlich der Name seiner letzten kleinen Freundin. Und– und– und weißt du, was er getan hat? Wie er mich heute morgen geweckt hat?« Matt zitterte vor Empörung.
» Er hat dich hochgehoben und auf das Dach des Autos geworfen?«, riet Elena. Sie sprach über die Schulter gewandt mit Matt, weil eine schwache morgendliche Brise ging, die dazu neigte, ihr das Nachthemd gegen den Körper zu drücken. Sie wollte Damon nicht genau jetzt hinter sich haben.
» Nein! Ich meine, ja! Nein und ja! Aber– als er es tat, hat er sich nicht mal die Mühe gemacht, die Hände zu benutzen! Er hat einfach so gemacht«– Matt wedelte mit einem Arm–, » und zuerst bin ich in ein Schlammloch gefallen und im nächsten Moment falle ich auch schon auf den Jaguar. Ich hätte das Schiebedach eindrücken können– oder mir die Knochen brechen! Und jetzt bin ich vollkommen verdreckt«, fügte Matt hinzu und musterte sich voller Abscheu, als sei ihm dieser Gedanke gerade erst gekommen.
Damon ergriff das Wort. » Und warum habe ich dich hochgehoben und wieder fallen lassen? Was hast du in dem Moment getan, als ich ein wenig Abstand zwischen uns gelegt habe?«
Matt errötete bis zu den Wurzeln seines blonden Haars. Seine normalerweise so friedfertigen blauen Augen brannten.
» Ich hatte einen Stock in der Hand«, antwortete er trotzig.
» Einen Stock. Einen Stock von der Art, die man am Straßenrand findet? Diese Art von Stock?«
» Ich habe ihn am Straßenrand gefunden, ja!« Immer noch trotzig.
» Aber dann scheint etwas Seltsames damit passiert zu sein.«
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