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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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zuerst nicht eigentlich wo ich war, erst als ich mich einmal zufällig erhob, sah ich links vor mir und rechts hinter mir, das weite klar umschriebene Meer mit vielen reihenweise aufgestellten, fest verankerten Kriegschiffen. Rechts sah man Newyork, wir waren im Hafen von Newyork. Der Himmel war grau aber gleichmäßig hell. Ich drehte mich frei, der Luft von allen Seiten ausgesetzt auf meinem Platze hin und her, um alles sehn zu können. Gegen Newyork zu, gieng der Blick ein wenig in die Tiefe, gegen das Meer zu gieng er empor. Nun bemerkte ich auch, daß das Wasser neben uns hohe Wellen schlug und ein ungeheuerer fremdländischer Verkehr sich auf ihm abwickelte. In Erinnerung ist mir nur, daß statt unserer Flöße lange Stämme zu einem riesigen runden Bündel zusammengeschnürt waren, das in der Fahrt immer wieder mit der Schnittfläche je nach der Höhe der Wellen mehr oder weniger auftauchte und dabei auch noch der Länge nach sich in dem Wasser wälzte. Ich setzte mich, zog die Füße an mich, zuckte vor Vergnügen, grub mich vor Behagen förmlich in den Boden ein und sagte: Das ist ja noch interessanter als der Verkehr auf dem Pariser Boulevard.

      12. Sept. (1912) Abend Dr. Löw bei uns. Wieder ein Palästinafahrer. Macht die Advokatursprüfung ein Jahr vor Ablauf seiner Koncipientenpraxis und fährt mit 1200 K (in 14 Tagen) nach Palästina. Würde eine Stelle beim Palästinaamt suchen. Alle diese Palästinafahrer (Bergmann, Dr. Kellner) haben gesenkte Blicke, fühlen sich von den Zuhörern geblendet, fahren mit den gestreckten Fingern auf dem Tisch herum, kippen mit der Stimme um, lächeln schwach und halten dieses Lächeln mit etwas Ironie aufrecht. – Dr. Kellner erzählte, daß seine Schüler Chauvinisten sind, immerfort die Makkabäer im Munde haben und ihnen nachgeraten wollen.
      Ich merke daß ich dem Dr. Schiller nur deshalb so gern und gut geschrieben habe, weil das Frl. Bauer sich in Breslau, allerdings schon vor 14 Tagen, aufgehalten hat, und eine Witterung dessen noch in der Luft ist, da ich früher viel daran gedacht habe, ihr durch Dr. Schiller Blumen schicken zu lassen.
    15. (September 1912) Verlobung meiner Schwester Valli
    Aus dem Grunde der Ermattung steigen wir

    mit neuen Kräften
    Dunkle Herren welche warten bis die Kinder sich entkräften

      Liebe zwischen Bruder und Schwester – die Wiederholung der Liebe zwischen Mutter und Vater
    Die Vorahnung des einzigen Biographen

    Die Höhlung, welche das geniale Werk in das uns Umgebende gebrannt hat, ist ein guter Platz, um sein kleines Licht hineinzustellen. Daher die Anfeuerung, die vom Genialen ausgeht, die allgemeine Anfeuerung, die nicht nur zur Nachahmung treibt.
      18. (September 1912) Die gestrigen Geschichten des Hubalek im Bureau. Der Steinklopfer, der ihm auf der Landstraße einen Frosch abbettelte, ihn bei den Füßen festhielt, und mit dreimaligem Beißen zuerst das Köpfchen, dann den Rumpf und endlich die Füße hinunterschlang. – Die beste Methode, Katzen, die ein sehr zähes Leben haben, zu töten: man quetscht den Hals zwischen eine geschlossene Tür und zieht am Schwanz. – Seine Abneigung gegen Ungeziefer. Beim Militär juckte ihn einmal in der Nacht etwas unter der Nase, er griff im Schlaf hin und zerdrückte etwas. Das etwas war aber eine Wanze und er trug den Gestank davon tagelang mit sich herum. – Vier aßen einen fein hergerichteten Katzenbraten, aber nur drei wußten, was sie aßen. Nach dem Essen fiengen die drei zu miauen an, aber der vierte wollte es nicht glauben, erst bis man ihm das blutige Fell zeigte, glaubte er es, konnte nicht rasch genug hinauslaufen, um alles wieder herauszubrechen und war zwei Wochen schwer krank. – Dieser Steinklopfer aß nichts als Brot und was er sonst zufallig an Obst oder an Lebendem bekam und trank nichts, als Branntwein. Schlief im Ziegelschupfen einer Ziegelei. Einmal traf ihn der Hubalek in der Dämmerung auf den Feldern. “Bleib stehn” sagte der Mann oder – Hubalek blieb zum Spaß stehn. “Gib mir deine Zigarette” sagte der Mann weiter. Hub. gab sie ihm. “Gib mir noch eine!” So Du willst noch eine? fragte ihn Hub., hielt seinen Knotenstock für jeden Fall in der Linken bereit und gab ihm mit der rechten einen Schlag ins Gesicht, daß ihm die Zigarette entfiel. Der Mann lief auch, feig und schwach, wie solche Schnapstrinker sind, sofort weg.
    Gestern bei Bergmann mit Dr. Löw. Lied von Reb Dovidl, Reb Dovidl, der Wassilkower fährt heint nach

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