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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Tale. In einer Stadt zwischen Wassilko und Tale gleichgiltig, in Wassilko weinend, in Tale froh gesungen.
      19. (September 1912) Kontrollor Pokorny erzählt von der Reise, die er als 13jähriger Junge mit 70 Kreuzer in der Tasche in Begleitung eines Schulkameraden ausführte. Wie sie am Abend in ein Wirtshaus kamen, wo eine ungeheuere Sauferei im Gange war, zu Ehren des Bürgermeisters der vom Militär zurückgekommen war. Mehr als 50 leere Bierflaschen standen auf dem Fußboden. Alles war voll vom Rauch der Pfeifen. Der Gestank der Bierkäsl. Die zwei kleinen Jungen an der Wand. Der betrunkene Bürgermeister, der in der Erinnerung an das Militär überall Ordnung schaffen will, kommt auf sie zu und droht sie als Ausreißer, wofür er sie trotz aller Erklärungen hält, per Schub nachhause befördern zu lassen. Die Jungen zittern, zeigen Ausweiskarten des Gymnasiums, deklinieren mensa, ein halbbetrunkener Lehrer schaut zu, ohne zu helfen. Ohne eine klare Entscheidung über ihr Schicksal zu bekommen, werden sie gezwungen mitzutrinken, sind sehr zufrieden umsonst soviel gutes Bier zu bekommen, das sie sich mit ihren kleinen Mitteln niemals hätten gönnen dürfen. Sie trinken sich voll und legen sich dann tief in der Nacht nach dem Abmarsch der letzten Gäste in diesem Zimmer, das nicht gelüftet wurde, auf dünn aufgeschüttetes Stroh schlafen und schlafen wie Herren. Nur daß um 4 Uhr eine riesige Magd mit dem Besen kommt, keine Zeit zu haben erklärt und sie in den Morgennebel hinausgekehrt hätte, wenn sie nicht freiwillig weggelaufen wären. Als die Stube ein wenig gereinigt war, bekamen sie zwei große Kaffeetöpfe bis hinauf gefüllt auf den Tisch gestellt. Wie sie aber mit dem Löffel in ihrem Kaffee herumrührten, kam immer von Zeit zu Zeit etwas großes, dunkles, rundes an die Oberfläche. Sie dachten, es werde sich mit der Zeit aufklären, und tranken mit Appetit bis sie angesichts des halbleeren Topfes und der dunklen Sache doch Angst bekamen und die Magd um Rat fragten. Da zeigte es sich, daß das Schwarze altes geronnenes Gänseblut war, das von dem vortägigen Festessen her in den Töpfen geblieben war und über das man im Morgendusel den Kaffee einfach eingegossen hatte. Sofort liefen die Jungen heraus und erbrachen alles bis auf das letzte Tröpfchen. Später wurden sie zum Pfarrer vorgerufen, der nach einer kurzen Prüfung aus der Religion feststellte, daß sie brave Jungen seien, ihnen von der Köchin eine Suppe servieren ließ und sie dann mit seinem geistlichen Segen verabschiedete. Diese Suppe und diesen Segen ließen sie sich als Zöglinge eines von Geistlichen geleiteten Gymnasiums in fast allen Pfarrorten geben, durch die sie kamen.
    20. (September 1912) Briefe an Löwy und Frl. Taussig gestern, an Frl. Bauer und Max heute.
    Es war an einem Sontagvormittag im schönsten Frühjahr. Georg Bendemann, ein junger Kaufmann, saß in seinem Privatzimmer im ersten Stock eines der niedrigen leichtgebauten Häuser, die entlang des Flusses in einer langen Reihe fast nur in der Höhe und Färbung unterschieden sich hinzogen. Er hatte gerade einen Brief an einen sich jetzt im Ausland befindenden Jugendfreund beendet, verschloß ihn in spielerischer Langsamkeit und sah dann den Elbogen auf den Schreibtisch gestützt aus dem Fenster auf den Fluß, die Brücke und die Anhöhen am andern Ufer mit ihrem schwachen Grün. Er dachte darüber nach, wie dieser Freund, mit seinem Fortkommen zuhause unzufrieden, vor Jahren schon nach Rußland sich förmlich geflüchtet hatte. Nun betrieb er ein Geschäft in Petersburg, das anfangs sich sehr gut angelassen hatte, seit langem aber schon zu stocken schien, wie der Freund bei seinen immer seltener werdenden Besuchen klagte. So arbeitete er sich in der Fremde nutzlos ab, der fremdartige Vollbart verdeckte nur schlecht das seit den Kinderjahren wohl bekannte Gesicht, dessen gelbe Hautfarbe auf eine sich entwickelnde Krankheit hinzudeuten schien. Wie er erzählte hatte er keine rechte Verbindung mit der dortigen Kolonie seiner Landsleute, aber auch fast keinen gesellschaftlichen Verkehr mit einheimischen Familien und richtete sich so für ein endgiltiges Junggesellentum ein.
      Was sollte man einem solchen Manne schreiben, der sich offenbar verrannt hatte, den man bedauern, dem man aber nicht helfen konnte. Sollte man ihm vielleicht raten, wieder nachhause zu kommen, seine Existenz hierherverlegen, alle die alten freundschaftlichen Beziehungen wieder aufzunehmen, wofür

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