Tagebücher 1909-1923
fühle allzusehr die Grenzen meiner Fähigkeit, die, wenn ich nicht vollständig ergriffen bin, zweifellos nur eng gezogen sind. Und ich glaube selbst im Ergriffensein nur in diese engen Grenzen gezogen zu werden, die ich dann allerdings nicht fühle, da ich gezogen werde. Trotzdem ist in diesen Grenzen Raum zum Leben und dafür werde ich sie wohl bis zur Verächtlichkeit ausnützen.
½ 2 nachts. Gegenüber weint ein Kind. Plötzlich spricht ein Mann im gleichen Zimmer, so nah als wäre er vor meinem Fenster. "Ich will lieber aus dem Fenster fliegen, als das noch länger anhören. " Er brummt noch etwas von Nervosität, die Frau sucht stumm nur mit Zischlauten das Kind wieder in Schlaf zu bringen
1. IX. (1914) In gänzlicher Hilflosigkeit kaum 2 Seiten geschrieben. Ich bin heute sehr stark zurückgewichen, trotzdem ich gut geschlafen hatte. Aber ich weiß daß ich nicht nachgeben darf, wenn ich über die untersten Leiden des schon durch meine übrige Lebensweise niedergehaltenen Schreibens in die größere auf mich vielleicht wartende Freiheit kommen will. Die alte Stumpfheit hat mich noch nicht ganz verlassen wie ich merke und die Herzenskälte wird mich vielleicht nie verlassen. Daß ich vor keiner Demütigung zurückschrecke, kann ebensogut Hoffnungslosigkeit bedeuten, als Hoffnung geben.
13. IX (1914) Wieder kaum 2 Seiten. Zuerst dachte ich die Traurigkeit über die österreichischen Niederlagen und die Angst
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vor der Zukunft (eine Angst die mir im Grunde lächerlich und zugleich infam vorkommt) werden mich überhaupt am
Schreiben hindern. Das war es nicht, nur ein Dumpfsein, das immer wieder kommt und immer wieder überwunden werden muß. Für die Traurigkeit selbst ist außerhalb des Schreibens Zeit genug. Die Gedankengänge die sich an den Krieg knüpfen sind in der quälenden Art mit der sie mich in den verschiedensten Richtungen zerfressen ähnlich den alten Sorgen wegen F. Ich bin unfähig Sorgen zu tragen und bin dazu vielleicht gemacht, an Sorgen zugrundezugehn. Wenn ich genug geschwächt bin –
und das muß nicht sehr lange dauern – wird vielleicht die kleinste Sorge genügen, um mich auseinanderzutreiben. In dieser Aussicht kann ich allerdings auch die Möglichkeit finden, das Unglück möglichst lange hinauszuschieben. Ich habe zwar mit aller Kraftaufwendung einer damals verhältnismäßig noch wenig geschwächten Natur wenig gegen die Sorgen wegen F.
ausgerichtet, aber ich hatte damals nur in der Anfangzeit die große Hilfe des Schreibens, die ich mir jetzt nicht mehr entreißen lassen will.
7 Okt. 14 Ich habe mir eine Woche Urlaub genommen, um den Roman vorwärtszutreiben. Es ist bis heute – heute is t Mittwochnacht, Montag geht mein Urlaub zuende – mißlungen.
Ich habe wenig und schwächlich geschrieben. Allerdings war ich schon in der vorigen Woche im Niedergang; daß es aber so schlimm werden würde, konnte ich nicht voraussehn. Erlauben diese 3 Tage schon Schlüsse darauf, daß ich nicht würdig bin, ohne Bureau zu leben?
15 (Oktober 1914) 14 Tage, gute Arbeit zum Teil,
vollständiges Begreifen meiner Lage. – Heute Donnerstag (Montag ist mein Urlaub zu Ende ich habe noch eine weitere Woche Urlaub genommen) Brief von Frl. Bl. Ich weiß nicht was damit anfangen, ich weiß, daß es so bestimmt ist, daß ich allein bleibe (wenn ich berhaupt bleibe, was gar nicht bestimmt ist) ich weiß auch nicht ob ich F. lieb habe (ich denke an meinen
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Widerwillen bei ihrem Anblick als sie tanzte mit strengem gesenktem Blick oder als sie kurz vor dem Weggehn im Askan.
Hof mit der Hand über die Nase und in die Haare fuhr und die unzähligen Augenblicke vollständigster Fremdheit) aber trotz allem tritt wieder die unendliche Verlockung ein, ich habe mit dem Brief den ganzen Abend über gespielt, die Arbeit stockt, trotzdem ich mich (allerdings bei quälenden Kopfschmerzen, die ich schon die ganze Woche über habe) zu ihr fähig fühle. Ich schreibe noch den Brief aus dem Gedächtnis auf, den ich Frl. Bl.
geschrieben habe:
"Es ist ein sonderbares Zusammentreffen Frl. Grete, daß ich Ihren Brief gerade heute bekam. Ich will das, womit er zusammengetroffen ist, nicht nennen, es betrifft nur mich und die Gedanken, die ich mir machte, als ich mich heute nachts etwa gegen 3 Uhr ins Bett legte. (Selbstmord, Brief an Max mit vielen Aufträgen)
Ihr Brief überrascht mich sehr. Es überrascht mich nicht, daß Sie mir schreiben. Warum sollten Sie mir nicht schreiben? Sie schreiben zwar,
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