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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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in der Gegend herum, aber es waren nicht Eingeborene, sie wechselten auch, sie kamen allerdings auch wieder zurück. Ich bekam die meisten zu sehn, die einsame Station lockte sie an, sie waren nicht eigentlich gefährlich, aber man mußte streng mit ihnen umgehn.
    Sie waren die einzigen die mich um die Zeit der langen Dämmerung störten. Sonst lag ich auf der Pritsche, dachte nicht an die Vergangenheit, dachte nicht an die Bahn, der nächste Zug fuhr erst zwischen 10 und 11 Uhr abends durch, kurz ich dachte an gar nichts. Hie und da las ich eine alte Zeitung die man mir vom Zug aus zugeworfen hatte, sie enthielt Skandalgeschichten aus Kalda, die mich interessiert hätten, die ich aber aus der einzelnen Nummer allein nicht verstehen konnte. Außerdem stand in jeder Nummer die Fortsetzung eines Romans der hieß
    "die Rache des Kommandeurs". Von diesem Kommandeur, der immer einen Dolch an der Seite trug, bei einer besondern Gelegenheit hielt er ihn sogar zwischen den Zähnen, träumte ich einmal. Übrigens konnte ich nicht viel lesen, da es bald dunkel wurde und Petroleum oder ein Talglicht unerschwinglich teuer waren. Von der Bahn bekam ich für den Monat nur ein 1/2 Liter Petroleum geliefert, das ich lange vor Ablauf des Monats verbraucht hatte, um bloß abend während einer 1/2 Stunde das Signallicht für den Zug zu erhalten. Aber dieses Licht war auch gar nicht nötig und ich zündete es später wenigstens in Mondnächten gar nicht mehr an. Ich sah ganz richtig voraus, daß ich nach Ablauf des Sommers das Petroleum sehr dringend brauchen würde. Ich grub daher in einer Ecke der Hütte eine Grube aus, stellte dort ein altes Bierfäßchen auf und schüttete
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    jeden Monat das ersparte Petroleum ein. Das ganze war mit Stroh zugedeckt und niemand merkte etwas. Je mehr es in der Hütte nach Petroleum stank, desto zufriedener war ich; der Gestank wurde deshalb so groß, weil es ein Faß aus altem brüchigem Holz war, das sich voll Petroleum tränkte. Später grub ich das Faß aus Vorsicht außerhalb der Hütte ein, denn der Inspektor protzte einmal mir gegenüber mit einer Schachtel Wachszündhölzchen und warf sie, als ich sie haben wollte, eine nach der andern brennend in die Luft. Wir beide und besonders das Petroleum waren in wirklicher Gefahr, ich rettete alles, indem ich ihn solange würgte bis er alle Zündhölzchen fallen ließ.
    In meinen freien Stunden dachte ich öfters darüber nach, wie ich mich für den Winter versorgen könnte. Wenn ich schon jetzt in der warmen Jahreszeit fror – und es war, wie man sagte, wärmer als seit vielen Jahren – würde es mir im Winter sehr schlecht gehn. Daß ich Petroleum aufhäufte, war nur eine Laune, ich hätte vernünftiger Weise vielerlei für den Winter sammeln müssen; daß sich die Gesellschaft meiner nicht besonders annehmen würde, daran war ja kein Zweifel, aber ich war zu leichtsinnig oder besser gesagt ich war nicht leichtsinnig aber es lag mir zu wenig an mir selbst, als daß ich mich in dieser Hinsicht hätte sehr bemühen wollen. Jetzt in der warmen Jahreszeit gieng es mir leidlich, ich beließ es dabei und unternahm nichts weiter.
    Eine der Verlockungen, die mich in diese Station gebracht hatten, war die Aussicht auf Jagd gewesen. Man hatte mir gesagt, es sei eine außerordentlich wildreiche Gegend und ich hatte mir schon ein Gewehr gesichert, das ich mir, wenn ich einiges Geld erspart haben würde, nachschicken lassen wollte.
    Nun zeigte sich daß von jagdbarem Wild hier keine Spur war, nur Wölfe und Bären sollten hier vorkommen, in den ersten Monaten sah ich keine, und außerdem waren eigentümliche große Ratten hier, die ich gleich beobachten konnte, wie sie in
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    Mengen wie vom Wind geweht über die Steppe liefen. Aber das Wild, auf das ich mich gefreut hatte gab es nicht. Die Leute hatten mich nicht falsch unterrichtet, die wild reiche Gegend bestand, nur war sie drei Tagereisen entfernt, – ich hatte nicht bedacht, daß die Ortsangaben in diesen über hunderte km hin unbewohnten Ländern notwendiger Weise unsicher sein müssen.
    Jedenfalls brauchte ich vorläufig das Gewehr nicht und konnte das Geld für anderes verwenden; für den Winter mußte ich mir allerdings ein Gewehr anschaffen und ich legte dafür regelmäßig Geld beiseite. Für die Ratten, die manchmal meine
    Nahrungsmittel angriffen genügte mein langes Messer. In der ersten Zeit als ich noch alles neugierig auffaßte, spießte ich einmal eine solche Ratte auf und hielt sie

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