Tagebücher 1909-1923
die Augen wischen.
6 I 11
"Du" sagte ich, zielte und gab ihm einen kleinen Stoß mit dem Knie, jetzt geh ich aber. Wenn Du es mitansehn willst, mach die Augen auf
Also doch? fragte er, wobei er mich aus vollständig offenen Augen mit einem geraden Blick ansah der aber dennoch so schwach war, daß ich ihn mit einem Wehen des Armes hätte abwehren können. Du gehst also doch. Was soll ich machen?
Halten kann ich Dich nicht. Und wenn ich es könnte, so will ich es nicht. Damit will ich Dich nur über Dein Gefühl aufklären, nach welchem Du doch von mir zurückgehalten werden könntest. Und sofort setzte er das Gesicht der niedrigen Dienstboten auf, mit dem diese innerhalb eines sonst geregelten Staates die herrschaftlichen Kinder folgsam oder ängstlich machen dürfen
7. I 11 Maxens Schwester, die in ihren Bräutigam so verliebt ist, daß sie es so einzurichten sucht, mit jedem Besucher einzeln zu reden, da man sich dem Einzelnen gegenüber besser über seine Liebe aussprechen und wiederholen kann
7 I 11 Wie durch Zauberei, denn weder äußere noch innere Umstände, die jetzt freundlicher sind als seit einem Jahr hinderten mich, wurde ich während des ganzen freien Tags, es ist ein Sonntag vom Schreiben abgehalten. – Einige neue Erkenntnisse über das Unglückswesen, das ich bin, sind mir tröstend aufgegangen.
Du sagte ich, zielte und gab ihm einen kleinen Stoß mit dem Knie, mach die Augen auf, ich will mich verabschieden. Bei dem plötzlichen Reden flog mir etwas Speichel als schlechtes Vorzeichen aus dem Mund.
Also doch sagte er und sah mich mit einem mehrmals über mein Gesicht hinfahrenden Blick an, der mich aber nur zufällig
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zu treffen schien, da ich ihn mit einem Wehen des Armes hätte abwehren können.
12. I 11 Ich habe vieles in diesen Tagen über mich nicht aufgeschrieben, teils aus Faulheit (ich schlafe jetzt so viel und fest bei Tag, ich habe während des Schlafes ein größeres Gewicht) teils aber auch aus Angst, meine Selbsterkenntnis zu verraten. Diese Angst ist berechtigt, denn endgiltig durch Aufschreiben fixiert, dürfte eine Selbsterkenntnis nur dann werden, wenn dies in größter Vollständigkeit bis in alle nebensächlichen Konsequenzen hinein sowie mit gänzlicher Wahrhaftigkeit geschehen könnte. Denn geschieht dies nicht –
und ich bin dessen jedenfalls nicht fähig – dann ersetzt das Aufgeschriebene nach eigener Absicht und mit der Übermacht des Fixierten das bloß allgemein Gefühlte nur in der Weise, daß das richtige Gefühl schwindet, während die Wertlosigkeit des Notierten zu spät erkannt wird.
Vor paar Tagen Leonie Frippon Kabaretteuse Stadt Wien.
Frisur umbundener Lockenhaufen. Schlechtes Mieder, sehr altes Kleid (Ritterdame), aber sehr hübsch
mit tragischen
Bewegungen, Anstrengungen der Augenlider, Ausfällen der langen Beine, gut verstandenem Strecken der Arme den Leib entlang, Bedeutung des steifen Halses bei zweideutigen Stellen.
Gesungen: Knopfsammlung im Louvre.
Schiller von Schadow 1804 in Berlin, wo er sehr geehrt worden war, gezeichnet. Fester als bei dieser Nase kann man ein Gesicht nicht fassen. Die Nasenmittelwand ist ein wenig herabgezogen infolge der Gewohnheit bei der Arbeit an der Nase zu zupfen. Ein freundlicher etwas hohlwangiger Mensch, den das rasierte Gesicht wahrscheinlich greisenhaft gemacht hat.
14 I 11
Roman "Eheleute" von Beradt. Viel schlechtes jüdisches. Ein plötzliches einförmiges neckisches Auftreten des Autors z. B.
alle waren lustig, aber einer war da, der war nicht lustig oder da
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kommt ein Herr Stern (den wir bis in seine Romanknochen hinein schon kennen). Auch bei Hamsun gibt es ähnliches, aber dort ist es so natürlich wie die Knoten in Holz, hier aber tropft es in die Handlung wie eine Modemedizin auf Zucker. – An sonderbaren Wendungen wird grundlos festgehalten z. B. er war um ihre Haare bemüht, bemüht und wieder bemüht. – Einzelne Menschen sind, ohne in ein neues Licht gebracht zu werden, gut herausgebracht, so gut, daß selbst streckenweise Fehler nicht schaden. Nebenpersonen meist trostlos.
17 I 11 Max hat mir den ersten Akt des "Abschiedes von der Jugend" vorgelesen. Wie kann ich so, wie ich heute bin, diesem beikommen; ein Jahr müßte ich suchen, ehe ich ein wahres Gefühl in mir fände und soll im Kaffeehaus spät am Abend von verlaufenen Winden einer trotz allem schlechten Verdauung geplagt einem so großen Werk gegenüber irgendwie berechtigt auf meinem Sessel sitzen bleiben
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