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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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was den Brief betrifft, also ihn schon langsam öffnen, langsam und vielmals lesen, lange überlegen, mit vielen Koncepten die Reinschrift vorbereiten und schließlich noch mit dem Wegschicken zögern. Das alles liegt in meiner Macht, nur eben das plötzliche Bekommen des Briefes läßt sich nicht vermeiden. Nun ich verlangsame auch das auf künstliche Weise, ich öffne ihn lange nicht, er liegt auf dem Tisch vor mir, immerfort bietet er sich mir an, immerfort bekomme ich ihn, nehme ihn aber nicht.
    Schöngeist
    abend 1/2 12. Daß ich, solange ich von meinem Bureau nicht befreit bin, einfach verloren bin, das ist mir über alles klar, es handelt sich nur darum, so lange es geht den Kopf so hoch zu halten, daß ich nicht ertrinke. Wie schwer das sein wird, welche Kräfte es aus mir wird herausziehn müssen, zeigt sich schon daran, daß ich heute meine neue Zeiteinteilung, von 8 – 11"
    abends beim Schreibtisch zu sein, nicht eingehalten habe, daß ich dieses sogar gegenwärtig für kein so großes Unglück ha lte, daß ich diese paar Zeilen nur eilig hingeschrieben habe, um ins Bett zu kommen.
    19 (Dezember 1910) Im Bureau zu arbeiten angefangen.
    Nachmittag bei Max.
    Ein wenig Goethes Tagebücher gelesen. Die Ferne hält dieses Leben schon beruhigt fest, diese Tagebücher legen Feuer dran.
    Die Klarheit aller Vorgänge macht sie geheimnisvoll, so wie ein Parkgitter dem Auge Ruhe gibt, bei Betrachtung weiter Rasenflächen und uns doch in unebenbürtigen Respekt setzt.
    Gerade kommt meine verheiratete Schwester zum erstenmal zu uns zu Besuch.
    20 (Dezember 1910) Womit entschuldige ich die gestrige Bemerkung über Goethe (die fast so unwahr ist, wie das von ihr
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    beschriebene Gefühl, denn das wirkliche ist von meiner Schwester vertrieben worden)? Mit nichts. Womit entschuldige ich, daß ich heute noch nichts geschrieben habe? Mit nichts.
    Zumal meine Verfassung nicht die schlechteste ist. Ich habe immerfort eine Anrufung im Ohr: "Kämest Du unsichtbares Gericht! "
    Damit diese falschen Stellen, die um keinen Preis aus der Geschichte herauswollen, mir endlich Ruhe geben schreibe ich zwei her:
    "Seine Athemzüge waren laut wie Seufzer über einen Traum, in dem das Unglück leichter zu tragen ist, als in unserer Welt, sodaß einfache Athemzüge schon genügendes Seufzen sind. "
    "Jetzt überblickte ich ihn so frei, wie man ein kleines Geduldspiel überblickt, von dem man sich sagt: "Was tut es, daß ich die Kügelchen nicht in ihre Höhlungen bringen kann, alles gehört mir ja, das Glas, die Fassung, die Kügelchen und was noch da ist; diese ganze Kunst kann ich einfach in die Tasche stecken. "
    21 (Dezember 1910) Merkwürdigkeiten aus "Taten des großen Alexander" von Michail Kusmin:
    "Kind, dessen obere Hälfte tot, untere lebend", "Kindesleiche mit den sich bewegenden roten Beinchen"
    "die unreinen Könige Gog und Magog, die sich von Würmern und Fliegen nährten, vertrieb er in geborstene Felsen und versiegelte sie bis ans Ende der Welt mit dem Siegel Salomonis"
    "steinerne Flüsse, wo an Stelle des Wassers mit Getöse Steine sich wälzten, vorbei an den Sandbächen, die 3 Tage lang gegen Süden fließen und 3 Tage gegen Norden"
    Amazonen, Frauen mit ausgebrannten rechten Brüsten, kurzen Haaren, Männerschuhwerk
    Krokodile, die mit ihrem Harn Bäume verbrannten
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    Bei Baum gewesen, so schöne Sachen gehört. Ich hinfällig wie früher und immer. Das Gefühl haben, gebunden zu sein und gleichzeitig das andere, daß, wenn man losgebunden würde, es noch ärger wäre.
    22 (Dezember 1910) Heute wage ich es nicht einmal, mir Vorwürfe zu machen. In diesen leeren Tag hineingerufen hätte das einen ekelhaften Widerhall.
    24 (Dezember 1910) Jetzt habe ich meinen Schreibtisch genauer angeschaut und eingesehn, daß auf ihm nichts Gutes gemacht werden kann. Es liegt hier so vieles herum und bildet eine Unordnung ohne Gleichmäßigkeit und ohne jede
    Verträglichkeit der ungeordneten Dinge, die sonst jede Unordnung erträglich macht. Sei auf dem grünen Tuch eine Unordnung wie sie will, das durfte auch im Parterre der alten Teater sein. Daß aber aus den Stehplätzen
    25 (Dezember 1910) aus dem offenen Fach unter dem Tischaufsatz hervor Broschüren, alte Zeitungen, Kataloge Ansichtskarten, Briefe, alle zum Teil zerrissen, zum Teil geöffnet in Form einer Freitreppe hervorkommen, dieser unwürdige Zustand verdirbt alles. Einzelne verhältnismäßig riesige Dinge des Parterres treten in möglichster Aktivität auf, als

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