Tai Chi Chuan
rechte Fußballen wird gleichzeitig angehoben und um 45° nach rechts außen gedreht (Foto 3). Sie setzen den Fuß auf und verlagern Ihr Gewicht allmählich vom hinteren linken Fuß auf den vorderen rechten Fuß. Sie heben hiernach den linken Fuß vom Boden ab und führen ihn am rechten Fuß vorbei (Foto 4) und machen einen Bogenschritt nach vorn (Foto 5). Mit der Gewichtsverlagerung nach vorn befinden Sie sich nun im Bogenschritt rechts (Foto 6).
Funktionsgymnastische Analyse
Neben der Grundhaltung spielt das Tai-Chi-Gehen eine große Rolle im Tai-Chi-Übungsgut. Der sogenannte Bogenschritt ist eine Bewegungsgrundlage vieler Abschnitte in den Soloformen und auch Bestandteil bei einem Teil der Partnerübungen. Die funktionsgymnastische Analyse des Grundschritts hat ergeben, dass hierdurch ein Ausgleich von muskulären Ungleichgewichten (Dysbalancen) gefördert wird.
Zur Abschwächung neigende Muskeln (die Glutaeusgruppe) werden über die Beckenarbeit auf Halteleistung trainiert. Die zur Verkürzung neigenden Muskeln (Adduktoren, Iliopsoas, M. rectus femoris) werden durch die weiten Schrittwinkel während des Tai-Chi-Gehens gedehnt. Hüftgelenkstabilisierende Muskeln werden durch die Eigenart des Bogenschritts aktiviert. Eine Verdrehung des Kniegelenks erfolgt zu keinem Zeitpunkt des korrekt ausgeführten Bewegungsablaufs, sodass das Knie keinen unnötigen Scherkräften ausgesetzt ist.
Durch die rhythmisch wiederkehrende Vor- und Zurückbewegung erfolgt ein ständiger Wechsel von Tonuszunahme und -abnahme im Oberschenkel und wirkt hier im Sinne eines dynamischen Krafttrainings. Hierdurch tritt eine muskuläre Stabilisierung des Kniegelenks ein. Das intensive Abrollen des Fußes beim Tai-Chi-Gehen bewirkt eine muskuläre Kräftigung des Fußes im Bereich der Extensorengruppe und eine Dehnung für die tonisch verkürzten Gegenspielermuskeln. Dies führt zu einer Leistungssteigerung der Fußgelenkarbeit im Sinne muskulärer Balance.
Darüber hinaus ist über die ständig wechselnden, sanften Druckbelastungen während des Tai-Chi-Gehens eine Verbesserung in der Versorgung der Gelenkknorpel zu erwarten, sodass eine Vorbeugung vor diesbezüglichen Hüft-, Knie- und Fußgelenkerkrankungen abzusehen ist (Schmittmann & Moegling, 1990, 5).
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1) Eine medizinische Textsammlung aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.). Das Nei Ching ist bis heute ein Standardwerk für die traditionelle chinesische Medizin.
2) Die Tabellen 1 und 2 sind der Arbeit von Moegling (1998), S. 378ff.) entnommen.
3) Vgl. hierzu Schmittmann & Moegling, 1990/1991
4) Andere Begriffe für „Tai-Chi-Gehen“ sind Bogenschritt und Schaukelschritt.
4 Der philosophische Hintergrund des Tai Chi Chuan
Tao Te King
Laotse lebte vermutlich im 7.-6. Jahrhundert v. Chr. als Archivar am kaiserlichen Hof. Der Legende nach konnte er die gesellschaftlichen Zustände nicht mehr ertragen und beschloss, seinen Dienst zu beenden und das in sich zerstörte Land zu verlassen. Ein Grenzbeamter hielt ihn auf und bat ihn, die Aufzeichnungen seiner Erkenntnisse zu hinterlassen. Laotse übergab ihm eine Rolle mit 81 Versen, die 5.000 Schriftzeichen beinhalteten – das Tao Te King .
Tao Te King kann als das „klassische Buch vom Sinn und vom Leben“ übersetzt und verstanden werden.
Der erste Teil des Buches befasst sich u. a. mit Aussagen zum Ursprung der Welt, zum Verhältnis von Sein und Nicht-Sein, dem Prinzip des Nicht-Handelns, der Polarität allen Seins, dem Verhältnis vom Teil zum Ganzen. Es geht im zweiten Teil des Buches vor allem um die Konkretisierung des „Sinns“ im „Leben“. Hierbei wird u. a. zu den Themen wie gesellschaftliche Herrschaft, Krieg und Frieden, dem Prinzip der Weichheit und Fragen des egolosen gesellschaftlichen Handelns Stellung bezogen.
Mit dem Tao Te King sollte man nicht ausschließlich mit den Mittelnunseres logischen Sachverstandes umgehen. Es ist eher ein Orakel- und Weisheitsbuch, auf das man sich sowohl systematisch als auch intuitiv einlassen sollte und das nur zum Teil über unsere geordnete Rationalität erschlossen werden kann. Im Folgenden werden wir versuchen, wesentliche Bestandteile des Tao Te King deutlich zu machen, die
auf einen gewissen Konsens als anerkannt taoistisches Gedankengut treffen und
in einen Zusammenhang mit unserem Buchthema, dem Tai Chi Chuan, zu bringen sind.
Hierbei werden wir uns auf zwei Themenkreise konzentrieren:
Yin und Yang und
das Prinzip der Weichheit.
Yin und Yang
Yin
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