Tai-Pan
Dirk Struan stieg auf das Achterdeck des Flaggschiffs H.M.S. Vengeance hinauf und schritt breitbeinig zur Gangway. Das Linienschiff, mit vierundsiebzig Kanonen bestückt, lag eine halbe Meile von der Insel entfernt vor Anker. Es war von den übrigen Kriegsschiffen der Flotte, den Truppentransportern der Expeditionsstreitkräfte, den Kauffahrteischiffen und den Opiumklippern der Chinahändler umringt.
Der Tag brach an – ein düsterer, kühler Tag – Dienstag, der 26. Januar 1841.
Während Struan das Oberdeck entlangging, blickte er zum Ufer hinüber, und Erregung wallte in ihm auf. Der Krieg mit China war so verlaufen, wie er es geplant hatte. Der Sieg entsprach seinen Vorstellungen. Und die Siegesbeute – die Insel – war das, wonach er zwanzig Jahre lang getrachtet hatte. Jetzt begab er sich an Land, um Zeuge der feierlichen Inbesitznahme zu werden. Er wollte dabeigewesen sein, wie eine chinesische Insel sich in ein Juwel in der Krone Ihrer Britischen Majestät, der Königin Victoria, verwandelte.
Die Insel war Hongkong. Dreißig Quadratmeilen felsigen Berglandes am Nordufer des gewaltigen Perlflusses im südlichen China. Rund tausend Yards vom Festland entfernt. Abweisend. Unfruchtbar. Unbewohnt bis auf ein kleines Fischerdorf an der Südküste. Genau auf dem Weg der ungeheuren Stürme gelegen, die alljährlich vom Pazifik heranbrausten. Im Osten und im Westen von gefährlichen Untiefen und Riffen gesäumt. Nutzlos für den Mandarin, in dessen Provinz sie lag.
Aber Hongkong bot den größten natürlichen Hafen der Welt. Und es war Struans Sprungbrett nach China.
»Längsseits verholen!« rief der junge Wachoffizier dem Seesoldaten in Scharlachrot zu. »Mr. Struans Langboot mittschiffs an das Fallreep!«
»Jawohl, Sir!« Der Seesoldat beugte sich über die Reling und brüllte den Befehl weiter.
»Dauert nur einen Augenblick, Sir«, sagte der Offizier und versuchte, seine Scheu vor dem großen Handelsherrn zu unterdrücken, der im Bereich des Chinesischen Meeres zu einer legendären Gestalt geworden war.
»Keine Eile, mein Sohn.« Struan war ein Riese von einem Mann, mit einem Gesicht, das von tausend Stürmen gegerbt war. Sein blauer Gehrock war mit Silberknöpfen besetzt, die enge weiße Hose hatte er nachlässig in Seestiefel gesteckt. Wie gewöhnlich war er bewaffnet – ein Messer trug er in der Rückenfalte des Gehrocks, ein weiteres im rechten Stiefel. Er war dreiundvierzig Jahre alt, rothaarig und hatte smaragdgrüne Augen.
»Ein schöner Tag«, sagte er.
»Jawohl, Sir.«
Struan ging die Gangway hinunter, stieg in den Bug seines Langboots und lächelte Robb zu, seinem Stiefbruder, der mittschiffs saß.
»Wir sind spät dran«, rief Robb und grinste ein wenig.
»Ja. Seine Exzellenz und der Admiral haben überhaupt kein Ende gefunden.« Struan starrte einen Augenblick zur Insel hinüber. Dann machte er dem Bootsmann ein Zeichen. »Ablegen. Lassen Sie an Land rudern, Mr. McKay!«
»Zu Befehl, Sir!«
»Endlich, nicht wahr, Tai-Pan?« sagte Robb. ›Tai-Pan‹ war chinesisch und bedeutete: ›Oberster Führer‹. In jeder Handelsgesellschaft, in jeder Armee, jeder Flotte und jeder Nation gibt es nur einen einzigen solchen Mann – den, der die wirkliche Macht in Händen hält.
»Ja«, antwortete Struan.
Er war der Tai-Pan vom Noble House.
1
»Der Teufel soll diese stinkende Insel holen«, sagte Brock, blickte sich am Strand um und starrte zu den Bergen hinauf. »Ganz China zu unseren Füßen, und wir bekommen dabei nich' mehr ab als so einen nassen Felsen, auf dem nich' mal was wächst.«
Er stand mit zwei anderen Chinahändlern am Ufer. Rings um sie her standen in Gruppen Kaufleute und Offiziere der Expeditionsstreitkräfte. Sie alle warteten auf den Offizier der Königlichen Marine, der die Zeremonie einleiten sollte. Eine Ehrenwache von zwanzig Seesoldaten war in zwei exakt ausgerichteten Gliedern neben dem Flaggenmast angetreten. Das Scharlachrot ihrer Uniformen bildete einen grellen Farbklecks in der Landschaft. Matrosen, die in ungeordneten Haufen in ihrer Nähe herumstanden, hatten soeben den Flaggenmast in die steinige Erde gesetzt.
»Bei acht Glasen sollte die Flagge geheißt werden«, erklärte Brock, und seine Stimme war rauh vor Ungeduld. »Wird eine Stunde später werden. Warum geht's denn nicht endlich los, verdammt noch mal!«
»Es bringt üblen Joss, an einem Dienstag zu fluchen, Mr. Brock«, meinte Jeff Cooper. Er war ein hagerer Amerikaner aus Boston, ein Mann mit
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