Tal der Träume
Frechheit!«, donnerte Pop. »So weit kommt es noch! Du hast Harriet geheiratet, sie ist eine gute Frau. Außerdem geht das nur dich etwas an. Schreib dem Bengel, er soll gefälligst nach Hause kommen, sonst tue ich es selbst, das schwöre ich dir! Wie ist noch gleich die Adresse?«
»Mach ihn nicht wütend, Pop. Ich warte nur, bis er sich mit der Lage angefreundet hat.«
»Anfreunden? Es ist Weihnachten, er hat sich lange genug herumgetrieben. Wovon redest du überhaupt? Er kommt nach Hause und arbeitet auf meiner Station, bis wir glauben, dass er das Format hat, Millford zu leiten, Schluss, aus.«
Schön und gut, dachte William, aber er wollte erst dann auf Myles’ Rückkehr bestehen, wenn dieser seine Haltung geändert hatte. Wenn man ein freundschaftliches Entgegenkommen für Harriet erwarten konnte.
Die Sonne war, wie in den Tropen üblich, rasch untergegangen. Nur einige einsame Wolken zeigten noch einen sanften orangefarbenen Schimmer, während das Meer dunkel und ruhelos auf den kommenden Sturm wartete. William wandte sich ab und ging nach Hause.
Billy Chinn und Tom Ling waren wieder da, hatten sich bei der Missus demütig für ihre »Ungezogenheit« entschuldigt und exquisite Sträuße aus Jasmin, Orchideen und zartem Farn überreicht.
Mit tief ernster Miene hatte Harriet sie wieder aufgenommen, und nach wenigen Tagen war im Haushalt der Oatleys Ruhe eingekehrt. Auf Williams Anraten kümmerte sich Harriet nicht länger um den Speiseplan, sondern überließ Billy die Entscheidungen; immerhin kaufte er die Vorräte ein und wusste am besten, was verfügbar und frisch war. Sie fürchtete, er könne sich über die Besuchermengen beschweren, doch es störte ihn nicht, und er nahm stolz die Komplimente der Damen für seine Menüs entgegen. Harriet fragte sich, wie sie nur ohne diese beiden Perlen hatte auskommen können, und wäre ihnen am liebsten fortwährend um den Hals gefallen.
Endlich hatte sich alles zum Guten gewendet. Befreit von den nagenden Haushaltssorgen konnte sie die Gegenwart von Pop und William und all den neuen Bekannten genießen. Nun fand sie sogar Zeit, um sich die Stadt näher anzusehen.
Aggie Weston lud sie zum Jahrestreffen ihrer Quilt-Gruppe ein, wo man sie ermutigte, sich dieser Tätigkeit zu widmen. Die Frauen arbeiteten so hervorragend, dass Harriet sofort begeistert war und nur zu gerne mitmachte. Ihr fiel allerdings auf, dass nur Frauen, die auf Stationen lebten, daran teilnahmen.
»Deswegen nennen wir es unser Jahrestreffen«, sagte Aggie lachend. »Die Entfernungen verhindern, dass wir uns öfter sehen.«
»Es ist eine Ehre, daran teilnehmen zu dürfen«, erklärte William ihr später.
»Warum machen die Frauen aus der Stadt da nicht mit?«
»Vermutlich haben sie andere Interessen«, meinte er knapp. Allmählich registrierte Harriet die sozialen Unterschiede in der kleinen Gemeinde.
Lucy Hamilton unternahm mit ihr einen Spaziergang durch Chinatown, durch überfüllte Straßen voller Läden und Hütten, in die sich Harriet niemals allein gewagt hätte. Einmal kam Sibell Hamilton sie im Buggy abholen, damit sie ihr bei ihren karitativen Aufgaben half.
Und so teilte sie kurz darauf im weitläufigen Gefängnis von Fanny Bay Essen und Decken an gefangene Aborigines aus, die erbärmlichsten Gestalten, die sie je zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren an die Wände einer stinkenden, verdreckten Halle gekettet, doch Sibell schien das nicht zu stören. Auch zeigte sie keine Angst vor diesen ungepflegten Wilden. Sie kannte einige von ihnen mit Namen, sprach in sanftem Ton mit ihnen, ergriff ihre Hände, lauschte ihren Klagen und versprach, sich für sie einzusetzen, während Harriet, der man das angebotene Essen förmlich aus den Händen riss, von dem Gestank beinahe übel wurde.
Wächter standen zum Schutz dabei, doch sie schienen diese Aktion eher als amüsante Unterbrechung ihrer monotonen Arbeit zu betrachten. Harriet hatte Zweifel, ob ihre Hilfe diesen halb Wahnsinnigen viel nützte; zudem waren es Kriminelle, die eigentlich kein Mitleid verdienten.
Sie war erleichtert, als die Tore hinter ihnen ins Schloss fielen und sie wieder saubere Luft atmen konnte.
»Was für ein schrecklicher Ort!«
Sibell nickte. »Er ist entwürdigend und unmenschlich. Weiße Gefangene werden nicht so angekettet und erhalten bessere Verpflegung. Ich habe mich schon beim Residenten über die Behandlung der eingeborenen Sträflinge beschwert, aber er kennt da kein Mitleid.«
»Welche Verbrechen
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