Tal der Träume
alle irgendwie provisorisch. Manche haben Markisen, dafür dann aber keine Auslagen im Schaufenster. Danach kommt nur noch der Verfall. Stinkende Hütten und Schuppen drängen sich an Hauptstraßen, dazwischen brach liegende Grundstücke. Doch dazu später mehr.
Ein botanischer Garten von gewissem Niveau verleiht der Stadt, in der man zu viele Bäume für eine Metropole gerodet hat, die es noch gar nicht gibt, einen Anschein von Zivilisation. Hinter dem Garten liegt ein Gefängnis mit herrlichem Ausblick über die Fanny Bay, obgleich ich nicht einsehe, welchen Nutzen die Insassen hinter den dicken Mauern davon haben sollen. Ebenso wenig, weshalb man einen dermaßen idyllischen Ort mit dieser Einrichtung verschandelt hat.
Eine lange, sandige Straße stellt die einzige Verbindung zum Outback dar. Schon bald erreicht man auf ihr den Busch, eine harte, grau-grüne Landschaft, dicht und unermesslich, und man spürt, dass wir tatsächlich am äußersten Rand des Kontinents sitzen, unmittelbar gegenüber von Asien. Zu Füßen der weißen Bevölkerung und des Resident genannten Gouverneurs, der in luftiger Höhe thront, leben Chinesen und Aborigines in unvorstellbarem Elend.
Mein lieber Vater wird als angesehener Bankier sicher verstehen, wie verwundert ich war, als ich erfuhr, dass die hiesige Gesellschaft den Handel mit großer Herablassung betrachtet. Es scheint, dass nur dem Residenten und seiner Frau, einigen Regierungsbeamten und leitenden Angestellten der Telegrafengesellschaft gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Die Herren der Telegrafengesellschaft betreiben die Verbindung von London über Java und Darwin bis nach Alice Springs, Adelaide und so weiter. Diese Menschen mit ihren indischen Dienstboten und schicken Buggys benehmen sich alles andere als vornehm, doch ihre Damen geben gemeinsam mit der Frau des Residenten den Ton an. In ihren Augen ist der ganze Rest Dreck unter ihren Füßen.
Eine Ausnahme stellen die Besitzer der Stationen und ihre Familien dar, die man wahlweise Squatter, Viehzüchter, Großgrundbesitzer … oder einfach Bushies nennt. Sie kommen während der Regenzeit in Scharen in die Stadt und stellen die ganze schöne soziale Ordnung gründlich auf den Kopf. Diese Menschen und nicht die aufgeblasenen Regierungsbeamten, die sich selbst so wichtig nehmen, bilden das eigentliche Rückgrat des Territoriums. Die Leute von den Stationen arbeiten hart, kontrollieren riesige Besitzungen und Herden von derartiger Größe, dass einem bei der Erwähnung ganz schwindlig wird. Sie besitzen ihre eigenen formlosen gesellschaftlichen Regeln, legen mehr Wert auf Freundschaft und Spaß als darauf, wer mit wem Umgang pflegt. Dennoch reißen sich die Honoratioren unserer Stadt um ihre Gesellschaft, fühlen sich mit jedem Handschlag dem wahren Reichtum näher, gieren förmlich nach Einladungen zu ihren gesellschaftlichen Veranstaltungen, die der Öffentlichkeit so gut wie verschlossen sind. Als Einwohner dieser Stadt führen William und ich ein angenehmes Leben. Er ist zwar »nur im Handel« tätig, gleichwohl sind er und sein Vater aber auch angesehene Stationsbesitzer, und man kann ihn gesellschaftlich nicht übergehen. William mit seinen demokratischen Neigungen ist nicht sonderlich erpicht auf soziale Vorteile, die in einem Schmelztiegel wie Darwin seiner Ansicht nach fehl am Platze sind, doch du wirst mir beipflichten, Mutter, dass die Einhaltung gewisser Rangordnungen einfach nötig ist.
Oft gibt es Veranstaltungen in der großen Halle der Residenz – Mittagessen, Dinnerpartys, Abendgesellschaften, sogar Bälle, obwohl der Steinboden dem Tanz kaum zuträglich ist. Leider muss ich sagen, dass die bunten Seiden- und Satinstoffe, die ich in Singapur gekauft habe, vor Motten geschützt in meinem Schrankkoffer schlummern, denn hier trägt man Weiß. Die Damen behaupten, wegen der Hitze sei dies die einzig vernünftige Wahl. Seide, Musselin, Baumwolle, Kattun, Dimitz, Organdy – alles in weiß, reichlich monoton. Wir segeln wie Schwäne auf einem Meer aus Schwarz und Weiß. Beim Mittagessen saßen wir einmal in weißen Kleidern und ausladenden gleichfarbigen Hüten bei Tisch, doch einige ältere Damen von den Stationen konnten oder wollten nicht die passenden Hüte aufsetzen. Sie saßen mürrisch in weißen Kleidern und schwarzen Filzhüten da, die an Teewärmer erinnerten und ziemlich komisch aussahen.
Doch nun zu den unbebauten Grundstücken.
Wir verfügen über einen Bezirksrat aus sechs gewählten
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