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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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floss.
    »Beim Licht!« Arkoniel stieg ab, führte sein Pferd zum Trog und ging weiter, um die Säule zu begutachten. Er fuhr mit der Handfläche über die in vier Sprachen eingemeißelte Inschrift und las die Worte, die vor drei Jahrhunderten den Verlauf der Geschichte Skalas verändert hatten. »›Solange eine Tochter der Linie des Thelátimos über das Reich herrscht und es verteidigt, wird Skala niemals unterjocht werden.‹« Ehrfürchtig schüttelte er den Kopf. »Das ist das Original, nicht wahr?«
    Traurig nickte Iya. »Königin Ghërilain ließ es hier unmittelbar nach dem Krieg als Dankesgabe aufstellen. Damals wurde sie die Königin des Orakels genannt.«
    In den dunkelsten Tagen des Krieges, als es schien, Plenimar würde die Länder Skala und Mycena verschlingen, hatte Thelátimos, der König von Skala, die Schlachtfelder verlassen und war hierher gereist, um das Orakel zu befragen. Als er ins Gefecht zurückkehrte, nahm er seine Tochter Ghërilain mit, damals ein Mäd chen von sechzehn Jahren. Er gehorchte den Worten des Orakels, salbte sie vor den Augen seiner erschöpften Armee und überreichte ihr seine Krone und sein Schwert.
    Laut Agazhar hatten die Generäle wenig von der Entscheidung des Königs gehalten. Dennoch erwies sich das Mädchen von Anfang an als gesegnete Kriegerin und führte die Verbündeten binnen eines Jahres zum Sieg. Den Oberherrn Plenimars tötete sie eigenhändig bei der Schlacht von Isil. Auch in Friedenszeiten war sie eine gute Königin gewesen und hatte über fünfzig Jahre lang geherrscht. Agazhar war unter denjenigen gewesen, die um sie getrauert hatten.
    »Früher standen solche Gedenksäulen in ganz Skala, nicht wahr?«, fragte Arkoniel.
    »Ja, an jeder bedeutenden Kreuzung des Landes. Du warst noch ein Kleinkind, als König Erius sie alle einreißen ließ.« Iya stieg ab und berührte den Stein ehrfürchtig. Er fühlte sich heiß unter ihrer Handfläche an, und immer noch so glatt wie an dem Tag, als er die Werkstatt des Steinmetz verlassen hatte. »Aber selbst Erius hat nicht gewagt, diese Säule anzurühren.«
    »Warum nicht?«
    »Als er den Befehl überbringen ließ, sie zu entfernen, weigerten sich die Priester. Um seinen Wunsch gewaltsam durchzusetzen, hätte er in Afra einmarschieren müssen, dem heiligsten Ort von ganz Skala. So sah er gnädig davon ab und begnügte sich damit, all die anderen ins Meer werfen zu lassen. Im Thronsaal des Alten Palastes gab es eine goldene Tafel mit derselben Inschrift. Ich fragte mich, was daraus geworden ist.«
    Doch der jüngere Zauberer hatte unmittelbarere Gedanken. Er schirmte die Augen gegen die Sonne ab und betrachtete den Felshang. »Wo ist der Schrein des Orakels?«
    »Weiter hinten im Tal. Trink hier noch ausgiebig. Den Rest des Weges müssen wir laufen.«
     
    Sie ließen die Pferde bei der Herberge zurück und folgten einem ausgetretenen Pfad tiefer in die Schlucht. Der Weg wurde zunehmend steiler und beschwerlicher. Es gab weder Bäume, um Schatten zu spenden, noch Feuchtigkeit, um den weißen Staub zu binden, der in der heißen, mittäglichen Luft schwebte. Bald schwand der Pfad zu einem schmalen Weg, der sich zwischen Steinblöcken und über felsige Hänge emporschlängelte, die im Verlauf mehrerer Jahrhunderte von Pilgerfüßen tückisch glatt gewetzt worden waren.
    Unterwegs begegneten sie zwei anderen Bittstellergruppen, die ihnen entgegenkamen. Die erste Gefährtschaft bestand aus Soldaten, die lachten und sich unbekümmert miteinander unterhielten – bis auf einen jungen Mann, der etwas abseits ging, und dem Todesangst ins Gesicht geschrieben stand. Die zweite Gruppe umringte eine ältere Händlerin, die leise weinte, während die jüngeren Mitglieder ihrer Schar sie stützten.
    Arkoniel beobachtete sie unruhig. Iya wartete, bis die Gruppe um die Händlerin hinter einer Kurve verschwand, dann setzte sie sich auf einen Stein, um sich auszuruhen. Der Weg war kaum breit genug für zwei Menschen nebeneinander. Die Hitze schwelte darin wie in einem Backofen. Iya trank einen Schluck aus dem Wasserbeutel, den Arkoniel an der Quelle gefüllt hatte. Das Wasser war noch so kalt, dass es ihr Tränen in die Augen trieb.
    »Ist es noch weit?«, fragte ihr junger Schüler.
    »Noch ein kleines Stück.« Iya versprach sich ein kühles Bad, sobald sie zur Herberge zurückkehrten, stand auf und marschierte weiter.
    »Du hast die Mutter des Königs gekannt, nicht wahr?«, fragte Arkoniel, während er hinter ihr her stapfte.

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