Tante Dimity und das verborgene Grab
erwachsenes Leben damit verbracht, ihre kranken Eltern zu pflegen und sich um die Kinder ihres Bruders zu kümmern. Es wird Zeit, dass sie mal herauskommt …«
»… genau wie du, Lori. Wäre es zu viel verlangt?«
Vor meinem geistigen Auge erschien eine blitzsaubere Küche und ein aufgeräumtes Wohnzimmer. »Also«, sagte ich nachdenklich, »da wäre das Gästezimmer. Es liegt direkt neben dem Kinderzimmer, also …«
»Perfekt!« Ruth stand auf. »Dann holen wir Francescas Sachen aus dem Auto …«
»… und teilen ihr die gute Nachricht mit.«
Louise war ebenfalls aufgestanden. »Ruhe du dich nur weiter hier im Schatten aus, Lori …«
»… wir helfen Francesca schon.« Ruth hakte sich bei ihrer Schwester ein, und zusammen flatterten sie zurück in den Wintergarten.
Ich sollte mich ausruhen, während eine Fremde bei mir einzog? Schon wieder wollte Panik aufsteigen, aber ich unterdrückte sie. Ich sagte mir, dass ich Hilfe bräuchte, und diese Hilfe war mir von der erlesensten Agentur der Britischen Inseln geschickt worden.
Der Exklusivservice der Firma Pym war so zuverlässig wie der Regen im April, und außerdem hatte Dimity bereits ihr fliederduftendes Einverständnis gegeben.
Ein warmer Windhauch fuhr durch meine feuchten Haare, und ich ließ mich mittragen, eingelullt von den leisen Geräuschen des Hochsommers. Er hatte sehr trocken angefangen, doch das schwüle Wetter, das seit einiger Zeit herrschte, erinnerte mich an die Sommer meiner Kindheit in Chicago.
Dennoch, hier im Schatten des Apfelbaums war es köstlich, und die leichte Brise kühlte die schwülfeuchte Luft. Mit etwas Übung könnte ich mich vielleicht daran gewöhnen, einfach ruhig dazusitzen. In den Zweigen über mir zwitscherte ein Rotkehlchen, Hummeln brummten zwischen Rittersporn und Tausendschön, und in dem Wasserbecken, das von Rosen umgeben war, plantschten zwei Spatzen. Als ich jedoch die Augen über den stillen Garten gleiten ließ, meldete sich mein Schuldgefühl wieder, und beschämt murmelte ich: »Emma bringt mich um .«
Emma Harris, meine beste Freundin und Nachbarin, hatte meinen Garten mit viel Liebe entworfen, angelegt und bepflanzt. Der Frühling war Emmas liebste Jahreszeit, aber dieses Jahr war er gekommen und vergangen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Mir waren die Tulpen und die Osterglocken, der Flieder und die Wildhyazinthen genauso entgangen wie der blühende Judasbaum unten am Bach. Schuldbewusst sah ich hoch in den Apfelbaum und wusste, dass ich auch die Apfelblüte verpasst hatte.
Emma Harris war eine Künstlerin. Ein stiller Seufzer der Bewunderung war ihr schönster Lohn, aber dieses Jahr hatte ich selbst das nicht zustande gebracht. Während Emmas liebster Jahreszeit hatte ich mich im Haus vergraben und kaum bemerkt, was für ein Wunder sie mit Hacke und Spaten vollbracht hatte, ich undankbarer Wurm.
»Ich werde sie dafür entschädigen«, nahm ich mir vor. Und ich würde jetzt sofort anfangen, indem ich dieses Paradies, das sie geschaffen hat, genieße und würdige. Ich lehnte mich gegen den Apfelbaum und versuchte, jede Regung der Natur, jedes zitternde Blatt wahrzunehmen, und …
versagte. Meine Lider waren so schwer, die mich umgebende Musik war so einschläfernd … Ich konzentrierte mich auf das Brummen der Hummeln … döste ein … und wurde unsanft geweckt.
»Lori Shepherd«, donnerte eine Stimme, so dass Vögel und Bienen in Deckung gingen. »Dieser Mann muss gestoppt werden, ehe es ein Blutvergießen gibt!«
3
»WAWAS?« ICH ZWINKERTE ein paar Mal, um die verschwommene Gestalt vor mir scharf zu sehen, dann überlief es mich kalt.
Peggy Kitchen stand in meinem Garten.
Peggy Kitchen – Ladenbesitzerin, Postschalterinhaberin und ungekrönte Herrscherin über Finch – hatte mich nicht nur dazu überredet, einen AfghanTeppich, ein für mich unersetzliches Familienerbstück, für die Wohltätigkeitsauktion der SaintGeorgeKirche zu spenden, nein, sie hatte meinen überwiegend sitzenden und völlig unmusikalischen Mann auch dazu gebracht, sich Glöckchen um die Beine zu schnallen und am ersten Mai in aller Herrgottsfrühe mit den geriatrischen Moriskentänzern von Finch aufzutreten.
Bill hatte den Teppich wieder ersteigert und dafür den Gegenwert für einen Jahresvorrat an Bienenwachskerzen hingelegt, aber er konnte nicht verhindern, dass Peggy die Wände ihres Ladens mit kompromittierenden Fotos zuklebte, auf denen er, ein weißes Taschentuch schwenkend, wie schwachsinnig auf dem
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