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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Der Mensch ist größer als der Krieg
    (Aus dem Tagebuch des Buches)
    Millionen, getötet um nichtigen Lohn,
    traten den Pfad in die Leere aus ...
    Ossip Mandelstam
    1978–1985
    Ich schreibe ein Buch über den Krieg. Ich, die ich keine Kriegsbücher mochte, obwohl sie in meiner Kindheit und Jugend bei all meinen Altersgenossen die gängige Lieblingslektüre waren. Das ist nicht weiter erstaunlich – wir waren Kinder des Sieges. Kinder der Sieger. Was erinnere ich noch vom Krieg? Mein kindliches Unbehagen vor unbekannten und furchteinflößenden Worten. Über den Krieg wurde unentwegt gesprochen: in der Schule und zu Hause, bei Hochzeiten und Taufen, an Feiertagen und auf dem Friedhof. Sogar unter Kindern. Ein Nachbarsjunge fragte mich einmal: »Was machen die Menschen denn unter der Erde? Wie leben sie dort?« Wir wollten damals das Geheimnis des Krieges enträtseln.
    Damals begann ich über den Tod nachzudenken. Und hörte nie mehr auf, darüber nachzudenken, er ist zum Hauptthema meines geheimen Lebens geworden.
    Alles hatte für uns seinen Ursprung in dieser schrecklichen Zeit. In unserer Familie ist mein ukrainischer Großvater, der Vater meiner Mutter, an der Front gefallen, meine weißrussische Großmutter, die Mutter meines Vaters, ist bei den Partisanen an Typhus gestorben, zwei ihrer Söhne sind verschollen, von den dreien, die sie an die Front geschickt hatte, kam nur einer zurück – mein Vater. Elf entfernte Verwandte wurden zusammen mit ihren Kindern von den Deutschen bei lebendigem Leib verbrannt – manche in ihrer Hütte, manche in der Dorfkirche. So war es in jeder Familie. Bei allen.
    Die Jungen im Dorf spielten noch lange »Deutsche« und »Russen«. Riefen auf Deutsch: »Hände hoch!« »Zurjuck!« »Gitler kaputt!«
    Wir kannten keine Welt ohne Krieg, die Welt des Krieges war die einzige Welt, und die Menschen des Krieges die einzigen Menschen, denen wir begegneten. Ich kenne auch heute keine andere Welt und keine anderen Menschen. Hat es sie je gegeben?
    ***
    Das Dorf meiner Kindheit war nach dem Krieg weiblich. Eine Weiberwelt. An Männerstimmen kann ich mich nicht erinnern. Und so ist es bei mir geblieben: Vom Krieg erzählen Frauen. Sie weinen. Und singen, als würden sie weinen.
    Von den Büchern in der Schulbibliothek handelte die Hälfte vom Krieg. Auch in der örtlichen Bibliothek und in der in der Kreisstadt, wo mein Vater häufig Bücher auslieh. Heute weiß ich, warum. Doch wohl nicht zufällig? Wir haben die ganze Zeit Krieg geführt oder uns auf einen Krieg vorbereitet. Wir erinnerten uns daran, wie wir gekämpft hatten. Wir haben nie anders gelebt und können es wahrscheinlich auch gar nicht. Wir können uns nicht vorstellen, wie man anders leben kann; das werden wir eines Tages lange lernen müssen.
    In der Schule lehrte man uns, den Tod zu lieben. Wir schrieben Aufsätze darüber, wie wir im Krieg sterben wollten. Träumten davon ...
    Doch die Stimmen auf der Straße riefen etwas anderes, sie lockten mehr.
    Ich war lange ein Büchermensch, den die Realität erschreckte und faszinierte. Aus der Unkenntnis des Lebens erwuchs Furchtlosigkeit. Heute denke ich: Wäre ich realistischer gewesen, hätte ich mich dann in diesen Abgrund stürzen können? Woher kam das alles – aus Unwissenheit? Oder aus dem Gefühl, einen Weg zu gehen? Denn dieses Gefühl habe ich.
    Ich habe lange gesucht ... Mit welchen Worten kann ich wiedergeben, was ich höre? Ich suchte nach einem Genre, das dem entsprechen würde, wie ich die Welt sehe, wie mein Auge und mein Ohr beschaffen sind.
    Eines Tages fiel mir das Buch »Ich komme aus dem Feuerdorf« von Ales Adamowitsch, Janka Bryl und Wladimir Kolesnik in die Hand. Eine solche Erschütterung hatte ich nur einmal erlebt – bei der Lektüre von Dostojewski. Dies aber war eine ungewöhnliche Form: Der Roman ist zusammengesetzt aus Stimmen des Lebens, aus dem, was ich in meiner Kindheit gehört habe, aus dem, was heute auf der Straße gesagt wird, zu Hause, im Café, im Bus. So! Der Kreis hatte sich geschlossen. Ich hatte gefunden, wonach ich suchte. Ich hatte es geahnt.
    Ales Adamowitsch wurde mein Lehrer ...
    ***
    Zwei Jahre lang habe ich mich weniger mit Menschen getroffen und geschrieben als nachgedacht. Gelesen. Worum würde es in meinem Buch gehen? Noch ein Buch über den Krieg ... Wozu? Es gab schon Tausende Kriege – kleine und große, bekannte und unbekannte. Und Bücher darüber gibt es noch mehr ... Aber ... Das haben Männer über Männer

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