Tanz des Verlangens
sich ihre glänzenden Locken anfühlen würden.
Er verspürte den überwältigenden Drang, dieses Anwesen zu kaufen, es instand zu setzen, damit sie dort in Sicherheit war – aber nur, falls es ihm gelang, sie davor zu bewahren, noch einmal so zu tanzen, wie sie es letzte Nacht getan hatte. Bei dem Gedanken daran, an den Fluch, der sie zwang, den Schmerz wieder und wieder zu durchleben, ballten sich seine Hände zu Fäusten.
Conrad besaß das notwendige Wissen, um einige Zauber zu wirken – die meisten davon primitive Schutz- oder Tarnzauber –, allerdings hatte er kaum je Zugang dazu, wenn er es wollte. Wann auch immer er eine bestimmte Erinnerung aufrufen wollte, erwies sie sich als besonders flüchtig. Wenn er fähig wäre, all das Wissen, das er erworben hatte, nach Belieben zu nutzen, könnte er dann wohl einen Weg finden, sie zu beschützen?
Was wäre, wenn er die Antwort bereits in sich trüge und sie nur darauf wartete, abgerufen zu werden? Nikolai hatte gesagt, Conrad könnte es lernen. Er hatte außerdem gesagt, dass es nur einen Trieb gäbe, der sich mit der Blutgier messen könnte: Sex. Und dass es nur eine Sache gäbe, die dem überwältigenden Drang zu töten entgegenstehen könnte.
Jetzt wusste Conrad, was das war: das Bedürfnis zu beschützen.
Mithilfe seiner Willenskraft, einer enormen Anstrengung und eines Rechens, den er in einem baufälligen Schuppen gefunden hatte, war es Conrad gelungen, eine ganze Reihe der Zeitungen zu bergen, die in der Einfahrt gelegen hatten, unerreichbar für sie. Er hatte vor, sie seiner Geliebten als Geschenk zu überreichen.
Da er keinerlei Erfahrungen mit Frauen hatte und nur über beschränkte Mittel verfügte, war dies das Beste, was er zu bieten hatte.
Er hatte die Zeitungen gerade ordentlich in seinem Zimmer aufgestapelt und es sich bequem gemacht, um darauf zu warten, dass Néomi erwachte, als sich seine Brüder ins Zimmer translozierten.
Nikolai stieß argwöhnisch die Luft aus, als er sah, dass sein Bruder sich bewegen konnte. „Wie bist du freigekommen?“
„Hab mir die Schulter ausgerenkt.“
Fast im selben Augenblick hoben alle drei ihre Brauen, angesichts des Zeitungsstapels.
„Du hast dir die Schulter ausgerenkt, um an die Zeitungen auf der Straße zu kommen? Du hättest doch einen von uns fragen können, wenn du etwas zu lesen …“
„Nein. Das ist es nicht.“ Wieso erzähle ich es ihnen nicht einfach? Sie glaubten ja sowieso schon, dass er verrückt sei. Vielleicht war einer von ihnen ja schon einmal einem Geist begegnet. Vielleicht würden sie ihm tatsächlich Glauben schenkten. „Ich habe sie für eine Frau geholt, die hier lebt.“ Er war zumindest so weit bei Verstand, dass er merkte, wie sich das anhörte. „Sie liest sie gerne.“
„Das Haus ist vollkommen leer, Conrad.“ Nikolai kniff mit Daumen und Zeigefinger in die Haut über seiner Nasenwurzel. „Das weißt du doch.“
Er strich sich mit den Händen über die Hose. „Ich bin der Einzige, der sie sehen kann. Sie liegt in ebendiesem Augenblick auf dem Bett.“
Alle drei setzten wie auf Kommando diese bange Miene auf, als ob sie sich fragten, ob Wahnsinn wohl ansteckend wäre.
„Wenn es hier tatsächlich einen Geist gibt, dann bring sie dazu, irgendetwas zu bewegen“, sagte Murdoch. „Kann sie vielleicht eine Tür zuschlagen? Oder auf dem Dachboden herumpoltern?“
„Ja, sie kann Dinge mittels Gedankenkraft bewegen.“
Sebastian machte eine ermutigende Geste. „Dann soll sie doch …“
Conrad blickte von seinen Brüdern zu ihr und wieder zurück. „Sie … schläft.“ Und er konnte sie nicht schütteln, um sie zu wecken.
„War ja klar“, murmelte Sebastian. Er war schon immer der Skeptischste von ihnen gewesen. Conrad vermutete, dass sich auch nach dreihundert Jahren daran nichts geändert hatte.
„Verdammt noch mal, ich sage die Wahrheit.“
„Kannst du sie nicht aufwecken?“
Conrad überlegte, ob er erklären sollte, aus welchem Grund sie so erschöpft war, kam dann aber zu dem Entschluss, dass das alles nur noch schlimmer machen würde.
„Warum sollen wir glauben, dass du einen Geist siehst und nicht etwa wieder an Halluzinationen leidest?“, fragte Murdoch. „Es war vorauszusehen, dass du Wahnvorstellungen haben würdest.“
„So war es auch. Die ganze Zeit über. Aber jetzt nicht mehr. Sie ist real.“ Er beugte sich zu ihrem Ohr hinab und sagte: „Néomi, wach auf!“ Keine Reaktion. „Wach auf!“, wiederholte er lauter, wohl
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