Tanz mit dem Engel
Erik Winters Standort aus schien der Sarg in der Luft zu schweben. Von links brach die Sonne durch ein Fenster, und das Licht hob den Sarg von der Bank dort auf dem Steinboden.
Alles verwandelte sich in ein Rechteck aus Sonne, und das war das einzige, was er sah.
Er hörte die Lieder über den Tod, aber er bewegte die Lippen nicht. Ein Kreis aus Stille umgab ihn. Es war nicht die Fremdheit. Es war auch nicht die unmittelbare Trauer, wenigstens noch nicht. Es war ein anderes Gefühl; es gehörte zum Alleinsein und zu jenem Zwischenraum, der entsteht, wenn die Finger loslassen.
Die Wärme, die vom Blut kommt, gibt es nicht mehr, dachte er. Wie wenn ein Weg zurück zugewachsen wäre.
Erik Winter erhob sich mit den andern, verließ die Kirche und trat hinaus ins Licht, um dem Sarg zum Grab zu folgen. Als die Erde auf dem Holz landete, war es zu Ende, und er stand eine kleine Weile still, und dann spürte er die Wintersonne im Gesicht. Wie eine Hand, die man in lauwarmes Wasser taucht.
Er ging langsam durch die Straßen nach Westen, zur Anlegestelle der Fähre. Jetzt ist ein Krieg im Leib eines Menschen vorbei, und er findet Frieden. Alles ist Geschichte, und ich empfinde allmählich große Trauer.
Am liebsten möchte ich mich über längere Zeit mit dem großen Nichts befassen, und dann möchte ich das Unkraut auf den Pfaden der Zukunft jäten, dachte er und richtete so etwas wie ein Lächeln zu dem niedrigen Himmel.
Er ging an Bord und die Treppen hinauf und stellte sich auf das Autodeck. Mit schwarzem Schnee bedeckte Autos fuhren herauf. Es polterte höllisch, und er hielt sich das linke Ohr zu. Die Sonne schien noch, deutlich, aber kraftlos über dem Meer. Er hatte die Lederhandschuhe abgestreift, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde, und nun zog er sie wieder an. Es war kälter denn je.
Er stand allein an Deck. Die Fähre schob sich langsam von der Insel hinaus, und als sie einen kleinen Wellenbrecher passierte, dachte Winter kurz an den Tod und daran, daß das Leben weitergeht, lange nachdem der Sinn des Lebens aufgehört hat.
Die Bewegungen sind die gleichen, aber der eigentliche Sinn bleibt zurück.
Er blieb stehen, bis die Häuser achteraus so klein wurden, daß er sie in der hohlen Hand unterbringen konnte.
In dem kleinen Lokal saßen Leute. Die Gesellschaft zu seiner Rechten sah aus, als wollte sie in ein Freiheitslied ausbrechen, aber statt dessen wanderte sie hinüber zu den großen Fenstern.
Winter trank zunächst nichts. Er beugte sich über den Tisch und wartete, daß die Kirchenlieder in seinem Kopf verstummten, und dann bestellte er eine Tasse Kaffee. Ein Mann setzte sich ihm gegenüber, und Winter reckte seinen langen Körper.
»Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?« fragte er.
»Selbstverständlich«, antwortete der Mann. Winter machte ein Zeichen in Richtung Theke. »Man muß es wohl selbst holen«, sagte der Mann. »Nein. Sie kommt her.«
Die Frau nahm Winters Bestellung wortlos entgegen. Ihr Gesicht wirkte im Licht der tiefstehenden Sonne durchsichtig. Winter konnte nicht sehen, ob sie auf ihn blickte oder auf den Kirchturm in dem Dorf, das sie hinter sich gelassen hatten. Er fragte sich, ob man die Glocken auf der anderen Seite hörte oder auf der Fähre, wenn sie auf dem Weg zur Insel war.
»Sie kommen mir bekannt vor.« Er drehte sich auf dem Stuhl, so daß er dem Mann zugewandt saß.
»Ich muß in der Tat das gleiche sagen«, erwiderte der Mann.
Er hält die Beine in einer eigenartigen Stellung, dachte der Besucher. An solchen Kaffeetischen ist es nicht gut, groß zu sein. Es sieht aus, als hätte er Schmerzen, und ich glaube nicht, daß es am Licht auf seinem Gesicht liegt.
»Unsere Wege haben sich mehr als einmal gekreuzt«, sagte Winter.
»Ja.«
»Es hört nie auf.« »Nein.«
»Hier kommt der Kaffee.« Winter betrachtete die Kellnerin, als sie die Tasse vor Kriminalkommissar Bertil Ringmar stellte. Es dampfte aus der Tasse, und der Dampf stieg vor Ringmars Gesicht auf, verdünnte sich auf Stirnhöhe und breitete sich in einem Kreis um seinen Kopf aus. Der Bursche sieht wie ein Engel aus, dachte Winter.
»Was machst du hier?« fragte er.
»Ich fahre mit einer Fähre und trinke Kaffee.«
»Warum achten wir immer auf unsere Worte, wenn wir miteinander sprechen?« sagte Winter.
Bertil Ringmar nahm einen Schluck Kaffee.
»Ich glaube, daß wir sehr empfänglich für die Farbtöne der Worte sind«, sagte er und stellte die Tasse auf die Tischplatte. Winter
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