Tanz mit mir ins Glueck
fortzog.
Schweigend führte er sie auf das spiegelglatte Parkett. Als er ihre misstrauischen Blicke bemerkte, hob er fragend eine Braue. „Habe ich mich in den letzten fünf Jahren so sehr verändert?"
„Vermutlich." Sie nutzte die Gelegenheit, um ihn ausgiebig zu mustern.
„Irgendwie schon."
Aimee war schon immer der Meinung gewesen, dass Raphael mit seinem nachtschwarzen Haar und den durchdringend blickenden grauen Augen ein umwerfend attraktiver Mann war -obwohl sie nie hätte genau sagen können, warum. Heute jedoch betrachtete sie ihn mit den Augen einer Frau und sah, was sie früher wegen ihrer Jugend nicht verstanden hatte.
In ihrer Unschuld hatte sie damals weder die unverhohlene Leidenschaft erkannt, die seinen Charakter prägte, noch die unterschwellige Sinnlichkeit, die von ihm ausging. Vielleicht hatte sie sich auch nur von seiner Zurückhaltung täuschen lassen, mit der er seine innersten Gefühle vor der Welt verbarg, von seiner kühlen Selbstbeherrschung, die er anderen gegenüber zeigte. Es war eine gefährliche Kombination: Er lockte seine Opfer an, indem er ihnen mit seinen Gesten glühende Leidenschaft verhieß und sie gleichzeitig mit seinen eisigen Blicken warnte, dass er nicht leicht zu zähmen sein würde.
„Nun?" erkundigte er sich schließlich. „Sind die Veränderungen so gravierend?"
„Du hast ein paar Falten mehr", stellte sie ruhig fest. Die feinen Linien um seinen Mund und die Augenwinkel betonten allerdings nur seine Männlichkeit.
„Außerdem wirst du an den Schläfen allmählich grau."
„Das bleibt nicht aus, wenn ein Mann älter wird", meinte er lässig.
Sie lachte leise. „Das passiert uns allen." Dann wurde sie wieder ernst. „Am auffallendsten ist wohl, dass du noch härter geworden bist - sofern das überhaupt möglich war. Kälter."
Er verstärkte den Druck seiner Hand. „Dafür ist nicht das Alter verantwortlich."
„Nein", flüsterte sie. „Das ist meine Schuld, nicht wahr?"
Raphael machte sich nicht die Mühe, dies abzustreiten. Trotzdem schloss er sie so behutsam in die Arme, als wäre sie aus kostbarem Porzellan und keine Frau, die er verachtete.
Das war zuviel für Aimee. Sie ertrug es nicht, ihm so nahe zu sein und dabei genau zu wissen, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte. Diese Intimität musste sofort ein Ende haben! „Du wolltest mit mir reden", erinnerte sie ihn.
„Erst tanzen wir." Seine Hand auf ihrem Rücken beschwor
Bilder herauf, die sie längst vergessen geglaubt hatte. „Wir wer den uns später unterhalten."
Aimee senkte die Lider, um ihn nicht mehr anschauen zu müssen. Doch dadurch wurde sie sich seiner Nähe nur noch stärker bewusst. Es war, als würden nun andere Sinne in den Vordergrund treten. Sie hörte ihn überdeutlich seine regelmäßigen Atemzüge, das leise Rascheln seines Seidenhemdes. Sein Duft schien sie einzuhüllen, jene einzigartige Note, die sie unwillkürlich an Wind und Regen und fruchtbare Erde erinnerte. Die festen Muskeln, die sie unter ihren Händen spürte, bewiesen, dass er an harte körperliche Arbeit gewöhnt war. Und der bloße Gedanke an seine Küsse und seinen unverwechselbaren Geschmack wühlte ihr Innerstes auf.
Erschrocken öffnete sie die Augen wieder und konzentrierte sich auf seine Smokingfliege, während sie sich bemühte, die Schmetterlinge in ihrem Magen zu ignorieren. Vergeblich. Stattdessen wurde die Versuchung, die Enden der Schleife auseinanderzuziehen und sein Hemd aufzuknöpfen, schier übermächtig. Sie sehnte sich danach, seine breiten Schultern zu streicheln. Vor fünf Jahren hatte sie ihn mehr als alles andere begehrt. Und nun ... Sie erschauerte.
Gütiger Himmel, sie wollte ihn noch immer!
„Was ist los, Aimee?" raunte er. „Woran denkst du?"
Was sollte sie darauf antworten, wenn die Wahrheit das letzte war, was sie ihm anvertrauen durfte? Ihre Furcht drängte sie fortzulaufen, das Verlangen hingegen riet ihr zu bleiben. Schließlich gewann die Angst die Oberhand. Aimee murmelte etwas Unverständliches, riss sich von ihm los und stürzte an den tanzenden Paaren vorbei. Sie verstand ihre eigene Reaktion auf Raphael genausowenig wie seine Gründe, an diesem Ball teilzunehmen. Beides war ihr unerklärlich.
Sie eilte aus dem Ballsaal zur Treppe. In der Halle standen bereits die ersten Gäste, die darauf warteten, in die Bibliothek vorgelassen zu werden, wo eine Mitarbeiterin des Friedensrichters die für die Eheschließung notwendigen Formalitäten erledigte. Obwohl Aimee
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