Taqwacore
Aufnäher oder so was. Damals beteten wir zusammen, und wir machten es richtig . Zu den richtigen Zeiten und auf die richtige Art. Das war, bevor Rabeya damit anfing, das Salat leiten zu wollen, und bevor all diese verbotenen Sitten hier einzogen – Chamr, Zina, all diese Partys.« Was Umar eigentlich damit sagen wollte, war: Bevor Jehangir Tabari hier einzog . »Sogar ich«, sagte er zu meiner Überraschung. »Sogar ich, Bruder.«
»Wie bitte?«
»Damals hatte ich etwas, das ich jetzt vielleicht nicht mehr habe. Du weißt schon …« Er blickte auf das Kassettendeck in seinem Pick-up, in dem »Disengage« von Youth of Today lief. »Weißt du, Yakhi, sie sagen, dass Saiteninstrumente nicht wirklich halal sind, sie gelten als Ma’aazif …«
»Inschallah«, entgegnete ich.
»Ja«, sagte Umar. »Inschallah, so sagen es die Gelehrten. Damals, als Mustafa dein Zimmer hatte, hörten wir keine Musik, die haram war. Wir redeten nicht über Dinge, die haram waren. Wir konsumierten nichts, das haram war, und wir hatten keine Kuffar in unserem Haus, Frauen und Männer kamen nicht zusammen, um zu singen, zu fluchen und du-weißt-schon-was zu machen.«
Ich wusste, dass es nicht in Umars Absicht lag, doch irgendwie fühlte ich mich plötzlich für all das verantwortlich – oder zumindest schien meine Gegenwart symbolisch für diesen Niedergang zu stehen. Damals, als Mustafa dein Zimmer hatte . Wäre Mustafa noch da, würde sich Umar sicherlich viel besser fühlen.
Ich muss gestehen, dass ich, solange ich in diesem Zimmer lebte, kaum einmal eines von Mustafas Büchern aufschlug. Der Bukhari verstaubte da oben auf seinem alten Bücherregal – wenn ich irgendetwas brauchte, was der gute Imam aufgeschrieben hatte, war es einfacher, einfach die Hadith-Datenbanken im Internet zu durchsuchen. Einen der Korane aus der saudischen Botschaft legte ich neben mein Bett, wo er mehr oder weniger unberührt blieb, nur gelegentlich las ich vor dem Schlafengehen die Sure Ya Sin. Fasiq Abasa wollte die restlichen haben und ich gab ihm den lästigen Karton nur zu gerne. Was The Spectacle of Death angeht, das bekam Amazing Ayyub, der von nun an immer gut mit Gesprächsstoff versorgt war. Hey, Yakhi, weißt du, was in Dschehennam mit Frauen passiert, die Parfüm tragen? So in der Art.
An Freitagen diente das Wohnzimmer als Moschee, vor allem für die Kids vom Campus, die sich nicht mit der Muslim Students’ Association identifizieren konnten. Sie waren zwar keine unzuverlässigen Gläubigen von Fasiqs Kaliber, doch es gab Mädchen, die ihr Haar unbedeckt ließen, Typen, die unten in Chippewa in Clubs gingen, und so weiter. Unser Haus mit den Punkpostern und der beschmierten Saudi-Flagge bot ihnen noch am ehesten eine bequeme Möglichkeit, den Islam zu leben, hier konnten sie beten und unter Gleichgesinnten sein, ohne sich unzulänglich zu fühlen. Manche brauchten eine Weile, bis sie sich an die Atmosphäre gewöhnt hatten, daran, dass es okay war, zuzugeben, dass man nicht fünf Mal am Tag betete oder dass man schon mal ein Eis mit Rum gegessen hatte oder mit jemandem zusammen war und auf Partys von Ungläubigen ging.
Umar war ursprünglich derjenige gewesen, der angeregt hatte, dass die Dschuma in unserem Haus abgehalten wurde, doch die Atmosphäre wurde bald von Jehangir geprägt. Er stand aufrecht vor dem Loch in der Wand, mit dem glänzendem Haarkamm, der über die Mitte seines Kopfes verlief, die Seiten oft dunkel von den nachwachsenden Stoppeln, und erzählte irgendetwas über das Leben von Rasulullah, sallallahu alaihi wa sallam , worauf wir mit dem Gefühl aus der Tür stürmten, wir könnten all die heimlichen Helden sein, die in unseren Köpfen herumspukten, die Supergläubigen, Mega-Mudschahedin und Schahidin mit Laserblick. Denn Jehangir konnte es, Jehangir in seiner braunen Kurta mit der goldenen Borte und mit seinem gelben Iro, Jehangir konnte es.
Rabeyas Khutbas, denen zwar der Glanz der melodramatischen, punkigen Verheißung von Jehangirs Version fehlte, gaben mir trotzdem das Gefühl, dass wir nur dadurch, dass wir hier saßen und ihr zuhörten, viel für den Islam taten. Sie konnte ihren Text besser als wir anderen, in ihrem Zimmer dienten Bücher als Möbel – Besucher saßen auf Stapeln von Betty Freidan, Adrienne Rich und Simone de Beauvoir, Fatima Mernissi, Leila Ahmed und Amina Wadud und dergleichen mehr – und sie setzte alles, was sie hatte, jede dämliche Sekunde ihres Lebens für den Islam ein. Doch
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