Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
wie man sie in den Bars nannte. Alexander liebte sein Weib; wenn er an seine Liebe zu Messalina dachte, war die Ehe, die er mit ihr führte, schön. Messalina schlief, aufgeschwemmt das Gesicht, die Augentusche verwischt, die Lider wie von Faustschlägen getroffen, die grobporige Haut, ein Droschkenkutscherteint, vom Trunk verwüstet. Welche Persönlichkeit! Alexander beugte sich vor der Persönlichkeit. Er sank in die Knie, beugte sich über die schlafende Gorgo, küßte den verqueren Mund, atmete den Trunk, der nun wie ein reines Spiritusdestillat durch die Lippen drang: »Was ist? Gehst du? Laß mich! Oh, mir ist schlecht!« Das war es, was er an ihr hatte. Auf dem Weg zum Badezimmer trat sein Fuß in Scherben. Auf dem Sofa schlief Alfredo, die Malerin, klein, zerzaust, hingesunken, niedlich, Erschöpfung und Enttäuschung im Gesicht, Krähenfüße um die geschlossenen Augen, mitleiderregend. Alfredo war amüsant, wenn sie wach war, eine schnell verbrennende Fackel; sie sprühte, witzelte, erzählte, girrte, scharfzüngig, erstaunlich. Der einzige Mensch, über den man lachen konnte. Wie nannten die Mexikaner die Lesbierinnen? Es war was wie Maisfladen, Tortilleras, wohl ein flacher gedörrter Kuchen. Alexander hatte es vergessen. Schade! Er hätte es anbringen können. Im Badezimmer stand das Mädchen, das er aufgegabelt, das er mit seinem Ruhm angelockt hatte, mit dieser schiefen Visage, die jedermann kannte. Schlagzeilen der Filmblätter: ALEXANDER SPIELT DEN ERZHERZOG, DER DEUTSCHE ÜBERFIELEN, DER ERZHERZOG UND DIE FISCHERIN , die hatte er gefischt, aufgefischt, abgetischt. Wie hieß sie noch? Susanne! Susanne im Bade. Sie war schon angezogen. Billiges Konfektionskleid. Strich mit Seife über die Laufmasche im Strumpf. Hatte sich mit dem Guerlain seiner Frau begossen. War mißmutig. Maulig. Das waren sie nachher immer. »Na, gut bekommen?« Er wußte nicht, was er sagen sollte. Eigentlich war er verlegen. »Dreckskerl!« Das war es. Sie wollten ihn. Alexander, der große Liebhaber! Hatte sich was! Er mußte sich duschen. Das Auto hupte unten wie verrückt. Die waren auf ihn angewiesen. Was zog denn noch? Er zog noch. ALEXANDER, DIE LIEBE DES ERZHERZOGS . Die Leute hatten die Nase voll; sie hatten genug von der Zeit, genug von den Trümmern; die Leute wollten nicht ihre Sorgen, nicht ihre Furcht, nicht ihren Alltag, sie wollten nicht ihr Elend gespiegelt sehen. Alexander streifte den Schlafanzug ab. Das Mädchen Susanne sah neugierig, enttäuscht und böse auf alles, was an Alexander schlapp war. Er dachte ›schau dir es an, erzähl, was du willst, sie glauben es dir nicht, ich bin ihr Idol‹. Er prustete. Der kalte Strahl der Dusche schlug seine schlaffe Haut wie eine Peitsche. Schon wieder hupten sie unten. Die hatten es eilig, sie brauchten ihren Erzherzog. In der Wohnung schrie ein Kind, Hillegonda, Alexanders kleines Mädchen. Das Kind schrie: »Emmi!« Rief das Kind um Hilfe? Angst, Verzweiflung, Verlassenheit lag in dem Kinderschrei. Alexander dachte ›ich müßte mich um sie kümmern, ich müßte Zeit haben, sie sieht blaß aus‹. Er rief: »Hille, bist du schon auf?« Warum war sie so früh schon auf? Er prustete dieFrage ins Handtuch. Die Frage erstickte im Handtuch. Die Stimme des Kindes schwieg, oder sie ging unter im wütenden Hupen des wartenden Wagens. Alexander fuhr ins Atelier. Er wurde angekleidet. Er wurde gestiefelt und gespornt. Er stand vor der Kamera. Alle Scheinwerfer leuchteten auf. Die Orden glitzerten im Licht der Tausendkerzenbirnen. Das Idol spreizte sich. Man drehte den Erzherzog EINE DEUTSCHE SUPERPRODUKTION .
Die Glocken riefen zur Frühmesse. Hörst-du-das-Glöcklein-läuten? Teddybären hörten zu, Puppen hörten zu, ein Elefant aus Wolle und auf roten Rädern hörte zu, Schneewittchen und Ferdinand der Stier auf der bunten Tapete vernahmen das traurige Lied, das Emmi, die Kinderfrau, langgezogen und klageweibisch sang, während sie den mageren Körper des kleinen Mädchens mit einer rauhen Bürste schrubbte. Hillegonda dachte ›Emmi du tust mir weh, Emmi du kratzt mich, Emmi du ziepst mich, Emmi deine Nagelfeile sticht mich‹, aber sie wagte der Kinderfrau, einer derben Person vom Lande, in deren breitem Gesicht die einfache Frömmigkeit der Bauern böse erstarrt war, nicht zu sagen, daß ihr wehgetan wurde und daß sie litt. Der Gesang der Kinderfrau, hörst-du-das-Glöcklein-läuten, war eine immerwährende Mahnung und hieß: klage nicht, frage nicht, freue dich
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