Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. Der Lärm der Motoren war Donner, war Hagel, war Sturm. Sturm, Hagel und Donner, täglich und nächtlich, Anflug und Abflug, Übungen des Todes, ein hohles Getöse, ein Beben, ein Erinnern in den Ruinen. Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer. Die Auguren lächelten. Niemand blickte zum Himmel auf.
Öl aus den Adern der Erde, Steinöl, Quallenblut, Fett der Saurier, Panzer der Echsen, das Grün der Farnwälder, die Riesenschachtelhalme, versunkene Natur, Zeit vor dem Menschen, vergrabenes Erbe, von Zwergen bewacht, geizig, zauberkundig und böse, die Sagen, die Märchen, der Teufelsschatz: er wurde ans Licht geholt, er wurde dienstbar gemacht. Was schrieben die Zeitungen? KRIEG UM ÖL, VERSCHÄRFUNG IM KONFLIKT, DER VOLKSWILLE, DAS ÖL DEN EINGEBORENEN, DIE FLOTTE OHNE ÖL, ANSCHLAG AUF DIE PIPELINE, TRUPPEN SCHÜTZEN BOHRTÜRME, SCHAH HEIRATET, INTRIGEN UM DEN PFAUENTHRON, DIE RUSSEN IM HINTERGRUND, FLUGZEUGTRÄGER IM PERSISCHEN GOLF . Das Öl hielt die Flieger am Himmel, es hielt die Presse in Atem, es ängstigte die Menschen und trieb mit schwächeren Detonationen die leichten Motorräder der Zeitungsfahrer. Mit klammen Händen, mißmutig, fluchend, windgeschüttelt, regennaß, hier dumpf, tabakverbeizt, unausgeschlafen, alpgequält, auf der Haut noch den Hauch des Nachtgenossen, des Lebensgefährten, Reißen in der Schulter, Rheuma im Knie, empfingen die Händler die druckfrische Ware. Das Frühjahr war kalt. Das Neueste wärmte nicht. SPANNUNG, KONFLIKT , man lebte im Spannungsfeld, östliche Welt, westliche Welt, man lebte an der Nahtstelle, vielleicht an der Bruchstelle, die Zeit war kostbar, sie war eine Atempauseauf dem Schlachtfeld, und man hatte noch nicht richtig Atem geholt, wieder wurde gerüstet, die Rüstung verteuerte das Leben, die Rüstung schränkte die Freude ein, hier und dort horteten sie Pulver, den Erdball in die Luft zu sprengen, ATOMVERSUCHE IN NEU-MEXIKO, ATOMFABRIKEN IM URAL , sie bohrten Brennkammern in das notdürftig geflickte Gemäuer der Brücken, sie redeten von Aufbau und bereiteten den Abbruch vor, sie ließen weiter zerbrechen, was schon angebrochen war: Deutschland war in zwei Teile gebrochen. Das Zeitungspapier roch nach heißgelaufenen Maschinen, nach Unglücksbotschaften, gewaltsamem Tod, falschen Urteilen, zynischen Bankrotten, nach Lüge, Ketten und Schmutz. Die Blätter klebten verschmiert aneinander, als näßten sie Angst. Die Schlagzeilen schrien: EISENHOWER INSPIZIERT IN BUNDESREPUBLIK, WEHRBEITRAG GEFORDERT, ADENAUER GEGEN NEUTRALISIERUNG, KONFERENZ IN SACKGASSE, VERTRIEBENE KLAGEN AN, MILLIONEN ZWANGSARBEITER, DEUTSCHLAND GRÖSSTES INFANTERIEPOTENTIAL . Die Illustrierten lebten von den Erinnerungen der Flieger und Feldherren, den Beichten der strammen Mitläufer, den Memoiren der Tapferen, der Aufrechten, Unschuldigen, Überraschten, Übertölpelten. Über Kragen mit Eichenlaub und Kreuzen blickten sie grimmig von den Wänden der Kioske. Waren sie Acquisiteure der Blätter, oder warben sie ein Heer? Die Flieger, die am Himmel rumorten, waren die Flieger der andern.
Der Erzherzog wurde angekleidet, er wurde hergestellt. Hier ein Orden, da ein Band, ein Kreuz, ein strahlender Stern, Fangschnüre des Schicksals, Ketten der Macht, die schimmernden Epauletten, die silberne Schärpe, das goldene Vlies, Orden del Toison de oro, Aureum Vellus, das Lammfell auf dem Feuerstein, zum Lob und Ruhm des Erlösers, der Jungfrau Maria und des heiligen Andreas wie zum Schutz und zur Förderung des christlichen Glaubensund der heiligen Kirche, zur lugend und Vermehrung guter Sitte gestiftet. Alexander schwitzte. Übelkeit quälte ihn. Das Blech, der Tannenbaumzauber, der gestickte Uniformkragen, alles schnürte und engte ihn ein. Der Garderobier fummelte zu seinen Füßen. Er legte dem Erzherzog die Sporen an. Was war der Garderobier vor den blankgewichsten Schaftstiefeln des Erzherzogs? Eine Ameise, eine Ameise im Staub. Das elektrische Licht in der Umkleidekabine, diesem Holzverschlag, den man Alexander anzubieten wagte, kämpfte mit der Morgendämmerung. Was war es wieder für ein Morgen! Alexanders Gesicht war käsig unter der Schminke; es war ein Gesicht wie geronnene Milch. Schnäpse und Wein und entbehrter Schlaf gärten und gifteten in Alexanders Blut; sie klopften ihm von innen den Schädel. Man hatte Alexander in aller Frühe hierher geholt. Die Gewaltige lag noch im Bett, Messalma, seine Frau, das Lustroß,
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