Tausche Glückskeks gegen Weihnachtswunder (German Edition)
Sorgen: Was war, wenn die Fähren und Flugzeuge wieder von Juist starten würden?
Nach dem Mittagessen humpelten Mama und Michel zu den Dünen, um etwas frische Luft zu schnappen. Opa und Oma legten sich etwas aufs Ohr, wie sie es nannten, und als wir in der Küche allein waren, gingen wir mit Omas Laptop ins Internet. Unter »Aktuelles von Juist« stand die Notiz, die wir am liebsten nie gesehen hätten: Nachdem gestern der Fähr- und Flugverkehr auf Juist wegen des heftigen Sturms eingestellt werden musste, fahren ab heute wieder die Fähren und auch der Flugbetrieb wurde inzwischen wieder aufgenommen.
Ich klappte das Laptop zu, damit die Nachricht niemand außer uns sehen konnte. Am liebsten hätten Sina und ich die Internetseite gelöscht, doch natürlich konnten wir das nicht. »Meinst du, das bedeutet, dass ihr gleich heute Nachmittag nach Hause fahren werdet?«, fragte ich meine ABF – und bei dem Gedanken wurde alles in mir still. »Was passiert, wenn dein Vater diese Nachricht sieht?« Michel hatte ein Smartphone und konnte jederzeit ins Internet gehen.
»Was ist, wenn wir sein Handy einfach verstecken?«, antwortete Sina mit einer Gegenfrage. Das hätten wir wirklich gemacht. Aber leider kamen wir nicht an Michels Handy heran, das er immerzu in seiner Hosen- oder Jackentasche trug. Es war zum Verzweifeln.
Was war, wenn Michel heute mitteilen würde, dass die Morgens jetzt abreisen würden, um rechtzeitig vor Heiligabend zu Hause zu sein?
Es würde so traurig sein, ohne Sina und Michel Weihnachten zu feiern. Warum sagte Mama ihm nicht, dass er doch bitte über die Feiertage bleiben sollte? Bestimmt, weil sie es zu aufdringlich fand. Warum mussten die Erwachsenen nur immer so kompliziert sein? Ich musste etwas tun, nur was?
»Wir können nichts machen, höchstens alle freien Daumen drücken, dass ihr noch bleibt«, sagte ich leise. Den ganzen Nachmittag über versuchten wir, uns abzulenken. Aber nichts half. Immerzu fragte ich mich, ob Michel und Sina sich auf die Heimreise machen würden. Schließlich backten wir Vanillekipferl zusammen mit Oma. Ich weiß nicht, ob der Liebeszauber wirkte, jedenfalls sprach Michel nicht davon, dass sie abreisen wollten.
Am späten Nachmittag gingen wir mit Opa hinaus in die Kälte, und wir halfen ihm, die Schafherde zu füttern. Ich war froh, dass ein Gatter zwischen uns war, denn der Schafbock senkte seinen Kopf und stieß nach dem Futtereimer. »Ich hätte mir Schafe viel kuscheliger vorgestellt«, sagte Sina, und sie füllte Heu in die Futterraufe. Opa lächelte. »Die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen.« Er warf einen Strohballen in den Pferch, dann gingen wir ins Haus zurück.
»Wissen Sie was?«, sagte Opa zu Michel, während er McSniff die Ohren kraulte. »Bleiben Sie doch über Weihnachten hier. Es ist zwar nicht geschmückt, aber Sie sind uns herzlich willkommen.«
Da zog Oma die Schublade der alten Kommode auf und sie holte rote Tannenbaumkerzen heraus. Sie gab uns vier Untertassen von ihrem guten Porzellan, die sie mit flüssigem Wachs betropfte, und obenauf setzte sie je eine der Kerzen. »Stellt die Untertassen auf die Fensterbank im Wohnzimmer«, sagte Oma, und das machten wir. Sie leuchteten in die Dunkelheit, doch nach Weihnachten sah es noch nicht aus. Es fehlte einfach noch etwas.
Opa setzte sich in seinem Sessel und legte die Kreuzworträtsel zur Seite. Er räusperte sich, dann sagte er zu Michel: »Nicht, dass Sie denken, wir wären tüddelüt, aber der Apfelbaum, der gestern umgeknickt ist, war ein besonderer. Wir haben ihn gepflanzt, als unser Arne geboren wurde, und den anderen haben wir gepflanzt, als Antje auf die Welt kam.«
Michel nickte nur, er sagte nichts. Mama, die neben ihm auf dem Sofa saß, sah plötzlich auf, so als ob sie Angst vor dem haben würde, was nun kam. Doch Opa schwieg eine Weile, man hörte nur das Ticken von der Wanduhr und das Knistern des Feuers im Kamin. Wie zu sich selbst sagte er leise: »Unser Arne war immer so ein vernünftiger Junge, hat auf dem Hof mitgeholfen, und bei den Lebensrettungsschwimmern hat er auch mitgemacht.« Opa schloss die Augen. »Vielleicht war er auch zu vernünftig.«
Opa räusperte sich mehrmals, bevor er weitersprach. »Als Arne auf dem Festland ins Internat kam, hat er die falschen Freunde gefunden und …« Opa strich sich über die kahle Stirn. »Wir wussten nichts davon. Bis als an einem Weihnachtsabend plötzlich die Polizei vor der Haustür stand. Arne war wegen
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