Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
erstaunte in höchstem Staunen, als er erkannte, daß der Beutel Diamanten, Rubinen und Smaragden enthielt. »O Khwadschah,« rief er aus, »nicht zu Unrecht erhobst du so laute Klagen. Was du verloren hattest, war der Mühe wert.« Der Khwadschah aber schob all die Edelsteine zu einem Haufen zusammen und teilte ihn in zwei Hälften. Doch auch den einen kleineren Haufen teilte er nochmals in zwei gleiche Teile, die er dem Prinzen anbot, indem er zu ihm sprach: »O Jüngling, wenn du diese beiden Teile nehmen willst, so gehören sie gemäß meinem Versprechen dir; wenn ich dir aber offen sagen soll, was ich denke, so höre: nicht ohne Schmerzen werde ich zusehn, wie du siefortträgst. Wenn du dagegen großherzig genug bist, um dich mit einem dieser beiden Teile zu begnügen, so schwöre ich dir, daß es mich nicht kränken soll, wenn du ihn besitzest.«
Malik al-Nasir, der ganz die Gesinnung eines großen Fürsten hatte, erwiderte ihm: »Da dem so ist, o Gelehrter, verlange ich nur den einen Teil.« Der Khwadschah, der sich ob dieser Selbstlosigkeit in höchster Freude freute, teilte den Teil, den der Prinz ihm zurückgegeben hatte, nochmals in zwei Hälften und sprach zu Malik al-Nasir: »Wähle dir abermals eins dieser Achtel aus. Ich versichere dir, daß ich es ohne Bedauern gebe.« »Nein,« versetzte der Prinz, »ich bin mit dem zufrieden, was ich schon habe.« »O Jüngling,« rief der Gelehrte, »du zeigst zu große Mäßigung. Du mußt dieses Achtel nehmen oder mit mir unter die goldene Traufe kommen; denn dort will ich für dich ein Gebet verrichten, das dir viel Nutzen bringen soll.« Da gab der Prinz wie in einer Eingebung des Himmels dem Khwadschah auch das zurück, was er schon angenommen hatte, und sprach zu ihm: »O Gelehrter, wenn du für mich im heiligen Tempel von Mekka ein Gebet verrichten willst, so ist mir das lieber als all deine Edelsteine. Ich gebe sie dir zurück, wenn du das Gebet mit der ganzen Glut eines guten moslemitischen Gelehrten verrichten willst.«
Als nun der Khwadschah diese Worte vernahm, erstaunte er ob des Übermaßes der Großmut des Prinzen und führte ihn unter die goldene Traufe, wo er die Hände wortlos gen Himmel hob; dann aber sprach er zu dem Prinzen: »Sage Amen!« Und der Prinz tat es; worauf der Gelehrte eine Weile die Lippen bewegte, sich zwei- oder dreimal mit den Händen über das Gesicht strich, und sich schließlich zu demPrinzen umwandte und zu ihm sprach: »O Jüngling, ich habe soeben ein Gebet für dich verrichtet, du kannst dahinziehn, denn du stehst in Gottes Hut.«
Der Prinz Malik al-Nasir nahm von dem Gelehrten Abschied; kaum aber hatte er ihn verlassen, so sprach er bei sich selber: »Was soll jetzt aus mir werden? Wohin soll ich meine Schritte wenden? Wenn ich nach Kairo zurückkehre, so wird mein grausamer Bruder Malik Aschraf mich töten lassen; also ist es besser, ich kehre mit diesem Khwadschah in seine Heimat zurück. Doch ich darf niemandem offenbaren, wes Standes ich bin, auf daß nicht irgendein Verräter mich ermorde, weil er hofft, für seine Tat einen guten Lohn zu erhalten; denn ich darf nicht daran zweifeln, daß der neue Sultan von Ägypten einen Preis auf meinen Kopf gesetzt hat.« Und als er über den Stand seiner Angelegenheiten diese und andre Überlegungen angestellt hatte, kehrte er zu dem Gelehrten zurück. »O Khwadschah,« sprach er zu ihm, »ich komme, um dich zu fragen, aus welchem Lande du bist.« »Ich bin aus Bagdad,« versetzte der Gelehrte, »und ich heiße Abu Nowas.« »Gern würde ich diese berühmte Stadt einmal sehen«, fuhr Malik al-Nasir fort; »willst du mich mit dir nehmen? Ich werde während der Reise für deine Kamele sorgen.« Der Gelehrte willigte ein; und da sie nichts mehr in Mekka fesselte, so machten sie sich beide auf den Weg nach Bagdad.
Sowie sie dort anlangten, sprach der Prinz zu dem Khwadschah: »O Gelehrter, ich will dir nicht zur Last fallen; ich verstehe herrliche Kleider zu machen; empfiehl mich, bitte, einem Schneider, der mit dir befreundet ist.« Der Khwadschah brachte ihn also zu dem berühmtesten Schneider der Stadt, der seinem neuen Gehilfen, um ihn aufdie Probe zu stellen, ein Kleid zuzuschneiden und zu nähen gab. Malik al-Nasir, der schon in Kairo die Bewunderung der Schneider geweckt hatte, konnte auch in Bagdad des Erfolges nicht entbehren. Das Kleid, das er herstellte, fand seines Meisters entzückten Beifall, also daß er es allen Schneidern der Stadt zeigte, die es aufs höchste
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