Tegernseer Seilschaften

ihn hinauszuwerfen, wenn er den Mordauftrag nicht ausführe.
    Anne war fassungslos. »Aber meinen Sie, dass man für den Arbeitsplatz einen anderen Menschen umbringen darf? Meinen Sie, das ist in Ordnung?«
    Â»Wissen Sie«, erwiderte Hundt, »ich habe neben meiner jetzigen Frau und den zwei Kindern, die bei uns wohnen, noch drei weitere aus einer früheren Ehe durchzubringen.« Während Hundt weitersprach, blickte er betreten zu Boden: Herr Kürschner habe ihn weit über Tarif bezahlt. Er habe sich gedacht, wenn er jetzt, in der Wirtschaftskrise, arbeitslos werde, könnte er sich gerade umbringen.
    Da habe er das kleinere Übel gewählt und den Fichtner aufgehängt. So sei das nun mal in harten Zeiten: Jeder muss selbst sehen, wo er bleibt.

Epilog
    Die Sonne strahlte, und Kinderlachen schallte über die Liegewiese des Tegernseer Strandbads.
    Anne döste mit geschlossenen Augen vor sich hin, dann holte Sepp Kastners Stimme sie in die Wirklichkeit zurück.
    Â»Hier, dein Eis!«
    Sie richtete sich auf, schenkte Seppi ein Lächeln und nahm den Becher entgegen. Neben ihr auf der Decke schleckte Lisa schon fröhlich an ihrem Lutscheis.
    Â»Wahnsinn!«, erzählte Kastner. »Gerade habe ich gelesen, dass am Chiemsee zwei Rentnerehepaare aus Oberbayern und ein Amerikaner einen Finanzberater aus Speyer gekidnappt und ihn vier Tage in einem Keller festgehalten haben, damit er ihnen ihre verlorenen drei Millionen Euro zurückgibt. Aber wir, also die Polizei, haben sie erwischt!« Sepp dachte kurz nach. »Krass, was die Wirtschaftskrise mit den Menschen anstellt! Aber Selbstjustiz ist halt überhaupt gar nicht die Lösung!«
    Anne antwortete nicht. Sie genoss ihr Eis und dachte darüber nach, was den Schuldigen nach der Aufklärung der Verbrechen am Tegernsee widerfahren war: Klaus Amend, Sebastian Hörwangl und Pius Nagel standen noch immer vor Gericht, es zeichnete sich aber ab, dass sie mit einer Geldstrafe davonkommen würden. Frank Hundt jedoch erwartete eine Freiheitsstrafe von über zehn Jahren. Derzeit saß er noch in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt MünchenStadelheim, zufällig in genau jenem Trakt, in dem auch der Tegernseer Schriftsteller und Rechtsanwalt Ludwig Thoma im Jahr 1906 wegen Beleidigung der Sittlichkeit einsaß – das hatte Seppi ihr erzählt. Ja, Wahnsinn, was das Leben so mit einem anstellt!
    Doch an all diese Probleme wollte Anne jetzt nicht denken. Sie genoss den schönen Sommertag, denn sie war glücklich. Bernhard hatte eine Verhaltenstherapie begonnen, und es deutete sich an, dass er damit seine Krankheit endlich in den Griff bekommen würde. Gerade hatte er eine Sitzung in München. Bei einer ausnehmend hübschen Therapeutin. Kurz flammte so etwas wie Eifersucht in Anne auf, die sie aber schnell beiseitedrängte. Sie und Lisa waren begeistert vom Leben auf dem Land. Für ihre Tochter hatte sie auch schon ein Dirndl gekauft, das diese nun unbedingt jeden Tag in den Kindergarten anziehen wollte. Und Sepp Kastner wurde ihr immer mehr zum Freund – auch wenn er ihr ab und zu schon noch gewaltig auf die Nerven ging.