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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Teil 1
    Es war gegen achtzehn Uhr gewesen. Kurt Nonnenmacher hatte gerade die Brotzeitdose geschüttelt, um zu überprüfen, ob die Gelben Rüben, die ihm seine Frau am Morgen in bester Absicht eingepackt hatte – Gelbe Rüben wirken stuhlanreichernd –, mittlerweile nicht wie von Zauberhand verschwunden waren. Leider nicht. Daher hatte er die lächerliche rote Plastikbox, die jetzt, da diese Neue in die Polizeidienststelle kommen würde, aus Gründen des guten Stils unbedingt ersetzt werden musste, geöffnet und die Gelben Rüben in den Papierkorb befördert; dann hatte er das Behältnis wieder geschlossen und in seine Aktentasche gesteckt, um sich anschließend auf den Boden zu knien und die Gelben Rüben wieder aus dem Abfall herauszufischen. Weil man Essen nicht wegwerfen darf! Das hatte ihm schon seine Urgroßmutter beigebracht, die Bäuerin gewesen war, und die hatte nicht nur eine Krise überlebt. Vielleicht konnte er die Rüben ja dem Bauern Nagel seiner Frau geben, die haben Hasen, die freuen sich, dachte er. Aber er, Nonnenmacher, Dienststellenleiter der Polizei in Bad Wiessee, war nun mal kein Hase, sondern ein Mann, wenngleich einer mit nervösem Magen.
    Während er diesen Gedanken nachhing, klingelte das Telefon. Nonnenmacher zog kurz in Erwägung, es durchklingeln zu lassen, denn sein Dienst war für heute vorbei, der Sepp war dran.
    Aber Nonnenmacher mochte seinen Beruf, und der Sepp war, das sah er durchs Bürofenster, draußen auf dem Parkplatz, um Frostschutzflüssigkeit nachzufüllen. Und es war ja ziemlich unwahrscheinlich, dass jetzt am Abend noch etwas Wichtiges passieren würde. Am Tegernsee war die Welt im Großen und Ganzen noch in Ordnung, sah man einmal von dem Mord an der Gattin des Musikprofessors aus Gmund ab (der Akademiker selbst war es gewesen), der vor einigen Monaten – oder waren es Jahre? – die Region erschüttert hatte. Aber sogar dieses schwere Verbrechen hatte man ja recht schnell aufgeklärt. Sonst war hier im Tal verbrechensmäßig wenig los, gerade abends, und deshalb konnte Nonnenmacher jetzt getrost den Hörer abnehmen.
    Â»Polizeiinspektion Wiessee, Nonnenmacher.«
    Â»Kurt, ich bin’s, die Evi. Der Ferdl ist weg.«
    Die Alteingesessenen am Tegernsee kannte Nonnenmacher praktisch alle, obwohl allein die Stadt Tegernsee rund viertausend Einwohner zählte und die anderen Seegemeinden, also Gmund, Bad Wiessee und Rottach-Egern, sogar noch mehr. Aber Nonnenmacher machte den Job jetzt schon seit vierzehn Jahren. Und er war vor vierundfünfzig Jahren selbst in Tegernsee geboren worden und dann zur Schule gegangen; hatte in seinem Leben zahllose Wald-, Wein- und Seefeste erlebt sowie unzählige Schlosskonzerte und Hoagaschten, wie man hier die Stubenmusikabende nannte, wie auch viele vom würzigen Tegernseer Hellen beflügelte Blasmusiktage und immerhin einige Heißluftballon-Montgolfiaden. Die Oldtimertreffen fand er ein bisschen »schickimicki« – wer konnte sich in der heutigen Zeit schon so eine alte, aufpolierte Blechkarosse leisten? –, und auf die Märkte musste er wegen seiner Frau. Das war nicht so sein Ding, aber da traf man natürlich auch alles, was Rang und Namen hatte in der Region. Es war also sonnenklar, dass die besorgte Evi am Telefon die Evi Fichtner aus Tegernsee war und der Ferdl, der jetzt auf einmal verschwunden sein sollte, ihr Mann, der Ferdinand Fichtner; von Beruf Bauer, nicht unbeliebt im Dorf, auch wegen seines unspektakulären Lebenswandels, seiner selten ruhigen Art; ein echter urbayerischer Tegernseer eben, so wie der Nonnenmacher Kurt selbst.
    Leicht genervt fragte Nonnenmacher: »Was ist mit dem Ferdl?«
    Â»Der ist heute Morgen ins Holz zum Leeberg rauf, und zum Mittag wollt’ er wieder da sein, war er aber nicht. Und jetzt ist’s schon sechs Uhr vorbei, und er ist immer noch nicht da.«
    Â»Ja hast schon mal ins Holz geschaut, ob er da vielleicht noch ist?«, fragte Nonnenmacher etwas unwirsch. Denn es war nun nicht nur schon sechs vorbei, sondern schon dreizehn Minuten nach sechs, und eigentlich war das jetzt längst schon dem Sepp seine Schicht. Ehe Evi Fichtner antworten konnte, schob er deshalb noch hinterher: »Der wird vermutlich im Bräustüberl sitzen.«
    Â»Ich mach’ mir halt Sorgen«, entgegnete sie.
    Â»Dann schau jetzt erst einmal nach, ob er nicht im

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