Tempel der Unsterblichen
möchte das nicht«, sagte sie schließlich nur.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, meinte Landru lächelnd. Und nach kurzer Pause: »Wieder gewöhnen.« Sein Lächeln vertiefte sich.
Lilith blieb ihm eine Erwiderung schuldig. Ihre Blicke aber verrie-ten unmißverständlich, wie unwohl ihr war, als sie weiterging. Sie schritt weiter aus, und bald schon hatte sie zu den anderen aufgeschlossen. Gerade als sie jenen Wall erreichte, den Lilith bereits aus der Ferne gesehen hatte.
Der Weg, den sie gekommen waren, fand seine Verlängerung in einer Brücke, die über einen schlamm- und wassergefüllten Graben führte, der den Wall an seiner äußeren Seite umlief. Jenseits davon reichte der zur Straße werdende Weg dann tiefer hinein - - in die Stadt.
Lilith blieb stehen, atemlos. Denn was sie sah, waren Zeugen beeindruckender Baukunst. Zugleich aber war der Anblick bedrückend. Lilith konnte sich vorstellen, unter welchen Mühen die geradezu gewaltige Tempel- und Palastanlage einst errichtet worden sein mußte. Und gewiß hatten etliche der beteiligten Arbeiter ihr Leben dabei gelassen.
Diese Stadt atmete Leid und Tod. Lilith konnte es gleichsam riechen, schmecken und fühlen. Und beides rührte nicht nur von Vergangenem her, sondern war spürbar gegenwärtig.
»Ist es nicht wunderschön?« Landrus Arm wand sich schlangengleich um ihre Schulter. Lilith wollte sich ihm entziehen, brachte es aber nicht fertig, weil sie sich wie betäubt vorkam.
Dabei begannen die Absonderlichkeiten gerade erst.
Hatte die Stadt eben noch einen geradezu verlassenen Eindruck erweckt, kam nun Bewegung in die Schatten, die zwischen den Gebäuden nistete. Menschen traten ins Dämmerlicht der nächtlichen Sonne und näherten sich der Straße, die zu den Pyramidentempeln hinführte. Sie taten es zielstrebig, aber sichtlich zögernd, als bereite jeder einzelne Schritt ihnen Mühe.
Schließlich säumten sie den Weg, und kaum tat einer der Vampire den ersten Schritt, fielen die Menschen auf die Knie nieder wie jene, die draußen auf den Feldern gearbeitet hatten.
Leises Flötenspiel hob an, Trommeln schufen einen Rhythmus, in dessen Takt sich die Vampire in Bewegung setzten.
Lilith wollte nicht weitergehen, aber Landru zog sie mit sich. Ihre Blicke irrten förmlich umher; es gab so vieles zu sehen, daß sie nicht wußte, wohin sie zuerst schauen sollte, und so registrierte Lilith letztlich nichts wirklich im Detail.
Außer den Menschen .
Wie auch die Vampire hatten sie ihre Haut gefärbt, weniger aufwendig allerdings, und auf schwer zu beschreibende Weise auch weniger feierlich. Die Bemalung der Vampire zeigte Glyphen und Figuren, die der Menschen war eher nur hingeschmiert, wie um der bloßen Färbung willen. Wo keine Farbe zu sehen war, im schwachen Licht ohnedies kaum von Leuchtkraft, wirkte die Haut der Männer, Frauen und Kinder grau und krank. Aber selbst unter der farbigen Maskerade erkannte Lilith noch die geradezu erschreckend ausgemergelten Züge vor allem der Erwachsenen. Als litten sie unter mangelnder Ernährung und - Lilith konnte sich den wahren Grund der Auszehrung nur allzu lebhaft vorstellen.
»Wo führen sie uns hin?« fragte sie leise an Landru gewandt. Mit einem Neigen des Kopfes wies sie auf die Vampire, die wie in einer feierlichen Prozession vor ihnen herschritten.
»Nach Hause«, gab Landru knapp zurück.
Der Tempelbezirk lag auf einer Anhöhe. Steile und lange Treppen führten hinauf. Lilith erkannte, daß die Menschen, die das letzte Stück des Weges flankierten, sich von den bisherigen unterschieden. Die Kleidung dieser Männer und Frauen war von edlerer Art, aufwendig gearbeitet, und trotz ihres Farbenreichtums wirkte sie uniformenhaft. Im Vergleich dazu schienen ihre Gesichter geradezu kalkig.
»Die Priesterschaft«, erklärte Landru unaufgefordert. Er hatte Li-liths fragenden Blick bemerkt.
»Priesterschaft?« echote sie. »Welche Aufgaben erfüllen diese -Priester?«
Landru lächelte milde.
»Du wirst alles erfahren«, sagte er nur. »Alles zu seiner Zeit.«
Lilith wollte sich damit nicht begnügen, schwieg aber, weil sie die Stufen inzwischen erreicht hatten und nun mit dem Aufstieg begannen. Die Musik blieb hinter ihnen zurück und verklang schließlich ganz, als sie vor einem der Paläste anlangten. Das Gebäude sah aus, als lägen drei Quader aufeinander; die Kantenlänge des unteren mußte gute hundert Meter betragen, die der darüberliegenden jeweils etwas weniger. Nach oben hing verjüngte
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