Terrorist
Hand und hält sie fest, während die Explosionen irgendeines viel späteren, auf simplere Erwartungen hin kalkulierten Reißers ihre Gesichter überfluten und die unverfrorenen Grobheiten und eiskalt berechneten Schocks in dessen kindischem Script ihr Alter verhöhnen.
Schlaflos, der Verzweiflung nahe, erwägt Jack, unter der Decke nach Beth’ Hand zu tasten; wenn er jedoch versucht, inmitten der Wülste ihres bewusstlosen Körpers ihre Hand zu finden, könnte er Beth stören und ihre unermüdliche, unersättliche, immer noch kindliche Stimme wecken. Fast so verstohlen wie ein Krimineller zieht er die Füße auf dem Betttuch an, schiebt behutsam die Decke beiseite und entkommt aus dem ehelichen Bett. Als er über den Bettvorleger hinaustritt, spürt er an den bloßen Füßen die Aprilkälte. Der Thermostat ist noch auf die Nachttemperatur eingestellt. Jack tritt an ein Fenster mit vergilbten Spitzenvorhängen und betrachtet im grauen Licht der Quecksilberdampflampen die Gegend, in der er wohnt. Das Orange des Gulf-Schilds an der rund um die Uhr geöffneten Tankstelle an der übernächsten Straßenecke sticht als einzig deutlicher Farbtupfer in der nächtlichen Szenerie hervor. Hier und da in der Nachbarschaft erwärmt ein fahles Niedrigvoltlicht das Fenster eines Kinderzimmers oder eines Treppenabsatzes. Im unentschiedenen Dunkel unter einem lackschwarzen Gewölbe, an dem der aufsteigende Schimmel des städtischen Glimmens nagt, verschwinden die verkürzten Winkel von Dachlinien, Schindeln und Fassadenverkleidungen im Unendlichen.
Siedlung, denkt Jack Levy. Häuser sind zu Siedlungen aneinandergerückt, aufgrund von steigenden Grundstückspreisen und Parzellierung enger aneinander geschoben. Wo es seiner Erinnerung nach hinter und zwischen den Häusern Gärten mit blühenden Bäumen, Gemüsebeeten, Wäscheleinen und Schaukeln gegeben hatte, herrschen nun betonierte Wege und asphaltierte Parkflächen vor, die man den einst – wie es den Vorstellungen des Planers vom Wohnglück im Grünen entsprach – großzügig bemessenen Rasenstücken abgeknapst hat und an denen ein paar struppige Büsche um Kohlendioxyd und feuchte Erde kämpfen. Als maßgebend haben sich die Bedürfnisse des Automobils erwiesen. Die entlang der Bordsteine gepflanzten Robinien, die an den Zäunen und Hausmauern rasch Wurzel fassenden wilden Akazien, die wenigen Rosskastanien, die aus der Zeit der Eiswagen und Kohlelaster überlebt haben – all diese Bäume, ihre Knospen und kleinen jungen Blätter, die sich im Lampenlicht als silbriger Flaum frischen Wachstums zu erkennen geben, sind in Gefahr, bei der nächsten Straßenverbreiterung entwurzelt zu werden. Die schlichten Konturen der Doppelhäuser aus den dreißiger Jahren und die Ranch-Häuser im Kolonialstil der fünfziger sind bereits überfrachtet mit nachträglich eingefügten Dachfenstern, aufgesetzten Terrassendecks und spirrigen Außentreppen, mit denen der gesetzlich vorgeschriebene Zugang zu Studio-Apartments geschaffen wurde, die einmal Gästezimmer gewesen waren. Die Fläche bezahlbarer Grundstücke wird immer kleiner, wie ein Blatt Papier, das gefaltet und noch einmal gefaltet wird. Aussortierte Scheidungswitwen, überflüssig gewordene Facharbeiter aus Industriezweigen, die ins Ausland verlagert wurden, und hart arbeitende Menschen dunkler Hautfarbe aus den innerstädtischen Slums, die nach der nächsten Sprosse der Aufstiegsleiter grapschen, ziehen in diese Wohngegend und können es sich nicht leisten, wieder fortzuziehen. Junge Paare richten heruntergekommene Doppelhaushälften wieder her und hinterlassen darauf ihre Markierung, indem sie die Veranden, Giebeleinfassungen und Fensterrahmen in ausgefallenen Farben streichen – Neon-Flieder, Giftgrün –, und die grellen Kleckse an der Straße werden von den älteren Anwohnern als Beleidigung empfunden, als Fanale der Verachtung, als unansehnliche Spielerei. Die kleinen Lebensmittelgeschäfte an den Ecken sind eines nach dem anderen eingegangen und haben das Feld Kettenläden überlassen, deren Logos und Dekor so unbekümmert schrill sind wie die gigantischen Farbabbildüngen ihres fettmachenden Fast Foods. Amerika ist, wenn man Jack Levy fragt, lückenlos mit Fett und Teer zugepflastert, ein von Küste zu Küste reichender Fliegenfänger, an dem wir alle festkleben. Selbst auf unsere vielgerühmte Freiheit brauchen wir uns nicht mehr viel einzubilden, nachdem die Kommunisten aus dem Rennen ausgeschieden sind: Sie macht es nur
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