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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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leichter für Terroristen, unauffällig ein- und auszureisen, Flugzeuge und Transporter anzumieten und Webseiten einzurichten. Religiöse Spinner und ComputerFreaks: eine sonderbare Kombination für Jack, der altmodischerweise Intellekt und Glauben als Gegensätze empfindet. Diese Irren, die die Flugzeuge in das World Trade Center geflogen haben, waren technisch gut ausgebildet. Der Anführer hatte einen deutschen Universitätsabschluss in Stadtplanung. New Prospect hätte seine Fachkenntnisse brauchen können.
    Ein positiverer, vitalerer Mensch als er, nimmt Jack an, würde diese Stunden nutzen, bevor seine Frau aufwacht, die Zeitung auf der Veranda landet und der sternenlose Himmel über den Dächern zu schmutzigem Grau gerinnt. Er könnte hinuntergehen und nach einem der Bücher suchen, von denen er die ersten dreißig Seiten gelesen hat, oder Kaffee machen oder sich ansehen, wie sich die Muntermacher in den TV-Frühnachrichten heiser quasseln. Aber er steht lieber hier und flutet seinen leeren Kopf mit dem sehr irdischen Anblick der Straße.
    Eine gestreifte Katze – oder ist es ein kleiner Waschbär? – flitzt über die leere Fahrbahn und verschwindet unter einem geparkten Auto, dessen Marke Jack nicht benennen kann. Autos sehen jetzt alle gleich aus, gar nicht mehr wie die mit den großen Flossen und den chromblitzenden, grinsenden Mäulern in der Zeit, als er ein Junge war; der Buick Riviera hatte sogar Bullaugen und der Studebaker eine Boxernase; und erst die tollen langen Cadillacs der fünfziger Jahre – die waren wirklich aerodynamisch. Angeblich der Aerodynamik und des Bcnzinsparens wegen sind heutzutage sämtliche Autos, vom Mercedes bis hinab zum Honda, ein bisschen pummlig und gedrungen und neutral lackiert, damit man den Straßen schmutz weniger sieht. Ein großer Parkplatz wird dadurch zum Albtraum, und man fände nie den eigenen Wagen wieder, wenn es den kleinen Blipp nicht gäbe, der aus einer gewissen Entfernung die Lichter aufblinken lässt oder, wenn auch das nicht hilft, ein Hupsignal auslöst.
    Eine Krähe mit etwas Bleichem und Langem im Schnabel schwingt sich träge von dem Loch auf, das sie in einen grünen Plastiksack gehackt hat, der gestern Abend für die Müllabfuhr hinausgestellt worden ist. Ein Stück weiter unten an der Straße eilt ein Mann im grauen Anzug von einer Veranda hinunter, steigt in einen Wagen, einen bulligen, durstigen Geländewagen, und braust dröhnend – ist ihm doch gleich, ob irgendwelche Nachbarn wach werden – davon, vermutlich nach Newark, zu einem frühen Flug, nimmt Jack an. Da steht er, starrt durch die frostigen Fensterscheiben und denkt: Das also ist das Leben. In einer Siedlung zu wohnen, Essen runterzuschlingen, sich am Morgen zu rasieren und zu duschen, damit man den anderen am Konferenztisch nicht mit seinen Pheromonen den Atem nimmt. Ein ganzes Leben hat es gedauert, bis ihm klar wurde, dass Menschen stinken. Als er noch jünger war, ist ihm der schale Geruch nie aufgefallen, der jetzt von ihm ausgeht, wenn er sich einfach nur ruhig durch den Tag bewegt, ohne je ins Schwitzen zu geraten.
    Nun – wenn er all das sieht, ist er immerhin noch am Leben. Vermutlich ist das nicht das Schlechteste, aber es strengt an. Wer war noch der Grieche in diesem Buch, von dem sie damals am Community College alle so hingerissen waren? Oder vielleicht war es später, an der Uni, beim Masterstudium. Sisyphus. Der bergan zu wälzende Felsen, der unweigerlich abwärts rollt. Jack steht noch am Fenster, aber er sieht nichts mehr, sondern sein Bcwusstsein kämpft gegen die Gewissheit an, dass all das eines Tages für ihn enden wird. Die Bilder in seinem Kopf werden vollkommen erlöschen, und doch wird alles ohne ihn weitergehen – immer neue Tage werden anbrechen, Autos werden anspringen und wilde Geschöpfe auf vom Menschen vergiftetem Land nach Nahrung suchen. Carmela ist unhörbar die Treppe hinaufgeschlichen und reibt sich unter lautem Schnurren an Jacks nackten Knöcheln, in der Hoffnung, früh gefüttert zu werden. Auch das ist das Leben, ein Leben, das ein anderes berührt.
    Jacks Augen fühlen sich sandig und tranig an. Er hätte nicht aufstehen sollen, meint er nun; an der Seite seiner massigen, warmen Frau hätte er vielleicht noch eine Stunde Schlaf ergattert. Jetzt muss er seine Müdigkeit durch einen langen, mit Terminen voll gepackten Tag schleppen, an dem in jedem Moment jemand etwas von ihm will. Er hört das Bett quietschen; Beth hat sich bewegt und die

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