Teufelswasser
dem Auffinden der Toten?»
«Ich schätze … zehn bis fünfzehn Minuten.»
Ernst Lürmann notierte die Aussage sorgfältig. «Zeit genug für einen Mord.»
«Sie betonen das so», verteidigte sich Gertrud Steinhag, «als hätten wir den Mord verhindern können.»
Verena John zeigte Verständnis. «Kriminalkommissar Lürmann möchte nur zum Ausdruck bringen, dass der Täter oder die Täterin schnell gehandelt hat, was auf eine vorsätzliche Tat hinweist.»
Lürmann wandte sich erneut an die Zeugin: «Haben Sie sonst jemanden gesehen, eine fremde Person?»
«Nein, keine Menschenseele.»
«Auch niemanden weglaufen hören?»
«Nein, keine Menschenseele.»
Die Staatsanwältin wollte wissen, wer sich zur Tatzeit im Schloss aufgehalten habe.
«Ich selbst», antwortete Gertrud Steinhag, als würde sie sich schützend vor die ihr anvertrauten Frauen des Säkularinstituts stellen. «Außerdem Frau Zähringsdorf. Unsere Seniorinnen, Frau Mayer und Frau Förnberg, hatten wohl schon geschlafen, sind aber durch die Unruhe geweckt worden.»
Glaser mischte sich ein: «Wo haben Sie und Frau Zähringsdorf sich konkret aufgehalten, als der Hilferuf zu hören war?»
«Ich war im Gemeinschaftsraum und hab eine Patience gelegt; mein ‹Laster›. Und Agnes hat in unserer Schlosskapelle still gebetet.»
«Haben Sie Frau Zähringsdorf in der Schlosskapelle angetroffen?»
«Sie hatte mir gesagt, sie wolle dorthin – was gar nicht ungewöhnlich ist. Und unmittelbar nach dem Hilferuf war sie bereits auf dem Weg zu mir, als ich sie holen wollte. Sie hatte den Aufschrei auch gehört.»
«Und das Opfer, Frau Müller, wann ist sie in den Park gegangen?»
Gertrud Steinhag war sich nicht sicher. «Margarete hat nur irgendwann am Abend erwähnt, ihr sei vor dem Schlafengehen nach einem Spaziergang zumute, was bei ihr allerdings seltener vorkam. So was macht eher unsere Gabriela, wenn sie da ist … Gabriela Schauberg, eine unserer Frauen.»
«Verstehe ich Sie richtig», fragte Glaser, «diese Frau Schauberg war gestern nicht anwesend?»
«Ja und nein.»
«Das müssen Sie uns erklären.»
«Wir hatten gestern am Vormittag eine Versammlung, ein Concilium im kleinen Kreis, bei dem wir über die turnusgemäße Neuwahl der Leiterin im Mai gesprochen haben. Daran waren alle im Schloss beteiligt, zudem Frau Schauberg. Sie wohnt nämlich nicht hier, sondern hat eine Wohnung in der Stadt, was ja den Zielen unseres Wirkens entspricht. Sie findet sich, wie gesagt, abends immer wieder zu Spaziergängen im Schlosspark ein, fährt mit ihrem Wagen extra hierher, und sie redet oft noch mit einer von uns, um ihren Tag Revue passieren zu lassen. Außerdem ist sie gerade zur Kur in Bad Kissingen und nur wegen der Versammlung zurückgekommen. Gleich danach, also gestern um die Mittagszeit, ist sie wieder nach Bad Kissingen gefahren und war seitdem nicht mehr im Institut.»
«Wir werden Frau Schauberg befragen müssen», gab Glaser nüchtern zur Antwort. «Dazu benötigen wir ihre derzeitige Adresse.»
«Die kann ich Ihnen nachher im Büro geben», bot Gertrud Steinhag an.
Ernst Lürmann hatte fleißig mitgeschrieben, war aber noch nicht zufrieden. «War Frau Müller, das Opfer, vielleicht mit jemandem im Park verabredet?»
«Das glaube ich nicht. Sie wirkte allerdings bedrückt und hat sich möglicherweise von dem Spaziergang eine Klärung ihrer Gedanken und Stimmungen erhofft. Dass dieser so schrecklich enden würde, konnte von uns wirklich niemand ahnen.»
Verena John hatte es nun eilig, besagten Gerichtstermins wegen. «Die Kollegen werden die anderen Frauen hier im Schloss ebenfalls dazu befragen, was sie wahrgenommen haben, und ihre Alibis prüfen. Zudem benötigen wir zu Vergleichszwecken von allen Personen die Fingerabdrücke. Vielleicht haben wir Glück, und am Tatort sind auch welche.»
Diese Anordnung empörte Gertrud Steinhag. «Was unterstellen Sie uns damit? Unsere christliche Grundhaltung verbietet uns jegliche Gewalttätigkeit. Keine von uns wäre dazu fähig. Bedenken Sie, welch eine Schuld jemand mit einer solchen Tat auf sich lädt.»
Lürmann fühlte sich mit einem Mal herausgefordert, die Leiterin gegen die Staatsanwältin zu unterstützen. «Ich frage mich, ob schwache Frauen überhaupt die physische Kraft aufbringen, die für so eine Gewalttat notwendig ist.» Dietmar Glaser bekam solche moralisierenden Anwandlungen seines Kollegen des Öfteren zu spüren.
Verena John fühlte sich gleichfalls herausgefordert und
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