Thaïs- Eine Erzählung (German Edition)
Thaïs-
Eine Erzählung in tausend Worten
von Benedikt Altmann
T homas zögerte kurz.
»Es ist kalt in diesem Land«, sagte er, zog sich seinen Pullover nach vorne über den Kopf und legte diesen auf der Sitzfläche des Nebenstuhles ab.
Auch am späten Abend herrschte noch eine Lufttemperatur von deutlich über fünfundzwanzig Grad Celsius.
Wir saßen im kerzenbeschienenen Halbdunkel einer staubigen, leer geräumten romanischen Kirche.
Boden, Mauern, Stühle, sonst nichts.
Dennoch mochte ich gerade diese Schlichtheit. Kein Vergleich mit dem Kitschabbild, zu dem manche voll gestopfte barocke Basilika mutiert.
Zwanzig Reihen weiter vorne zelebrierte ein Priester eine katholische Eucharistiefeier, nur ein paar ältere Leute nahmen aktiv daran teil.
Wir saßen wie Touristen ziemlich weit hinten im Halbdunkel.
Thomas zitterte leicht.
»Es ist ein kaltes Land«, begann er erneut und blickte hinüber zu einer Art Altar, auf dem man Kerzen, die man vorher kaufen musste, brennenderweise opfern konnte.
Das Stück für zwei Euro.
Auf der dem Kerzenaltar gegenüberliegenden Seite befand sich eine von mehreren Vorhängen bedeckte Mauereinbuchtung, wo man die heilige Beichte ablegen konnte. Die Vorhänge waren zugezogen, es befand sich also ein Priester dahinter, der auf bußfertige Besucher wartete.
»Bist du eigentlich katholisch?« fragte ich Thomas und wunderte mich über mich selbst, dass ich diese Frage überhaupt stellen musste, da wir nun schon seit über zwei Wochen gemeinsam unterwegs und während dieser Zeit so gut wie immer zusammen gewesen waren.
Thomas schwieg.
Er schwieg auf genau dieselbe Art und Weise, wie in jener Arbeitsgruppensitzung im letzten Herbst, als ihn unser Professor fragte, was er denn so alles für heute morgen vorbereitet habe.
Thomas hatte natürlich wieder mal nichts vorbereitet und blickte still ins Leere, worauf er zu einem Termin in die Sprechstunde zwangsbestellt wurde, um dem Lehrkörper seine Studienmotivation zu erläutern (»Wie stellen sie sich eigentlich bei dieser Arbeitseinstellung ihre Zukunft vor, hä?«).
Thomas war gerade vor wenigen Tagen zwanzig geworden und im Moment war ihm ziemlich kalt.
»Ich denke, wir sollten jetzt beide da rein gehen und beichten«, sagte er zu mir.
Auch eine Art, mir auf meine vorherige Frage zu antworten.
»Mir ist kalt«, sagte er noch, dann ließ er seinen Pullover auf dem Nebenstuhl zurück und ging hinüber in die Nische, trat hinter den Vorhang.
Er blieb lange.
Als er wieder zurückkam, wirkte er noch bleicher als vorher.
Er setzte sich neben mich.
»Ich soll zwanzig Kerzen spenden und in Hinkunft netter zu dir sein«, sprach er den Blick streng nach vorne zum Altar gewandt, während er mit seiner rechten Hand verdeckt im Halbdunkel unter seinem Stuhl ein paar Wichsbewegungen andeutete.
Ich stutze.
Diese Priester hier dachten ja wirklich praktisch.
Zwanzig Kerzen für je zwei Euro. Vierzig Euro.
In den Sommermonaten bis zu fünftausend Besucher täglich, macht im Jahr ...
Thomas grinste:
»Für jede Verfehlung eine Kerze, Alter! Alles klar????«
Ich musste erst mühsam nachrechnen, ob ich überhaupt auf zwanzig Verfehlungen kam, seit wir miteinander unterwegs waren, aber es konnte wohl hinkommen. So in etwa. Denn schließlich musste ich ja auch irgendwann mal schlafen und bekam in diesem Zeitfenster unterdessen natürlich nicht lückenlos mit, was Thomas dann in den Nächten so alles mit sich anzustellen pflegte.
Als die Messe vorne zu Ende war, blieben wir noch etwas sitzen.
Der Priester aus dem Beichtstuhl strebte kurz darauf auch einem reichhaltigen späten Abendessen im benachbarten Kloster zu, aber nicht ohne Thomas vorher beim Hinausgehen noch einen gestrengen Blick zugeworfen zu haben.
Wir blieben allein in der riesigen Kirchenhalle zurück.
Es war noch gut eine Stunde Öffnungszeit.
Die Touristen waren nach und nach nach draußen gegangen.
Thomas spendete symbolisch eine Kerze, mehr war für sein enges Studibudget leider nicht drin, dann setzten wir uns zurück ins Dämmerlicht des Innenraums, der nun noch düsterer zu sein schien als vorher während der Messfeier, da nun nur noch die (zahlreichen) Kerzen am »Opferaltar« sowie die Lampen der feuerpolizeilichen Notbeleuchtung über den Türen brannten.
Thomas kniete sich auf den uralten Steinfußboden vor unseren Stühlen und begann zu beten.
Er murmelte nur.
Ich konnte seine Worte nicht verstehen.
Er zitterte.
Nichts als ein
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