The Lost
zusammen mit den anderen Leuten den Saal. Er hielt den Kopf gesenkt und starrte auf die Beinpaare vor sich, denn er wusste, dass einige Leute über ihn redeten, darunter auch sein Vater. Er hatte ihm keine Vorwürfe gemacht, seine Mutter auch nicht, sie hatten die ganze Zeit über zu ihm gehalten. Aber ihre Blicke waren eine einzige Folter. Davor bewahrte ihn die vom Gericht zugesicherte Straffreiheit nicht.
Er würde bald verschwinden müssen, von zu Hause und aus der Stadt. Er würde irgendwo hinziehen und etwas aus seinem Leben machen.
Fragte sich nur, was.
Er hatte nichts Richtiges gelernt.
Und er war allein.
Jennifer redete nicht mehr mit ihm. Er wusste nicht, ob sie ihm die Schuld an Mr. Griffiths Tod gab oder ob sie einfach keine Zeit hatte, weil sie sich um Mrs. Griffith kümmern musste, die von der Hüfte abwärts gelähmt war, seit Rays Kugel ihre Wirbelsäule gestreift hatte. Aber vielleicht erinnerte Tim sie auch an Ray, und sie wollte nicht an Ray erinnert werden. Den Grund für ihre Ablehnung erklärte sie ihm nicht. Doch langfristig betrachtet spielten ihre Gründe sowieso keine Rolle. Es würde nichts zwischen ihnen ändern. Ihre Freundschaft war Vergangenheit. Das hatte sie ihm deutlich zu verstehen gegeben.
Darum war Tim allein.
Das war es, was er nach all den Jahren mit Ray vorzuweisen hatte.
Das war der Preis dafür, dass Ray ihn auf dem Schulhof einmal vor einem Schläger beschützt hatte.
Und dafür, dass er den Mund gehalten hatte wegen der beiden Mädchen im Wald.
Es gab nichts, was ihn hier noch hielt.
Vielleicht San Francisco, dachte er. Einklinken. Abfahren. Aussteigen.
Vielleicht nach Haight Ashbury. Der Sommer der Liebe war vorüber, aber vielleicht gab es dort immer noch eine Szene. Er wusste es nicht.
Als er mit seinem schweigenden Vater hinaus auf den Parkplatz trat, knöpfte er gegen den stürmischen Wind die Jacke zu.
Am 9. Dezember wurde um sechzehn Uhr in der kalifornischen Stadt Independence Charles Milles Manson, alias Jesus Christus, ein fünfunddreißigjähriger, einsachtzig großer, zeitweiliger Möchtegernmusiker, wegen der Morde an Sharon Tate, Jay Sebring, Abigail Folger, Voytek Frykowski, Steven Earl Parent und Rosemary und Leno LaBianca angeklagt. Ray erfuhr davon in seiner Zelle.
Es war zwei Wochen vor Weihnachten, als Jennifer im Zeugenstand ihre Aussage zu den Ereignissen in jener Augustnacht machte.
Der erste Tag im Zeugenstand war schwierig für sie, denn obwohl sie mit Mr. Rothert, dem Staatsanwalt, und davor mit seinen Assistenten alles durchgegangen war, fiel es ihr schwer, in allen Einzelheiten davon zu berichten. Denn plötzlich sah sie wieder alles vor sich. Es waren nicht nur Worte. Sie sah Elizabeth Wellmans zerfleischte Leiche zu ihren Füßen. Sah, wie Kenneth Wellman sie an den Stuhl fesselte. Wie Ray mit dem Gewehr zu ihnen ins Haus kam und vor ihren Augen Mr. und Mrs. Griffith niederschoss. Die Worte ließen die Bilder flach und eindimensional erscheinen, so dass sie eher wie Filmbilder als wie Erinnerungen an reale Ereignisse wirkten. Aber die Worte schafften es nicht, sie zu vertreiben, die Bilder waren kristallklar und manchmal sogar dreidimensional, und dann spürte sie die Angst so heftig und deutlich, als würde sich in Echtzeit erneut alles abspielen.
Der erste Tag war schwierig für sie. Aber der zweite war noch schwieriger.
Es schien, als würde Rays Anwalt, Patrick Farley, versuchen, ihr die Schuld an allem zu geben.
»Sie haben Raymond Pye geliebt, ist das richtig?«
»Früher, ja.«
»Aber an jenem Abend nicht mehr.«
»Nein, da nicht mehr.«
»Weil Sie wütend auf ihn waren wegen des Rings.«
»Auch. Da kamen viele Dinge zusammen.«
»Und auf dem Parkplatz hat er sie fast verprügelt, richtig?«
»Ja.«
»Und seine Mutter kam Ihnen zu Hilfe.«
»Ja.«
»Und später hat Ray seine Mutter erschossen.«
»Ja.«
»Und Sie waren wütend, weil er Sie mit Sally Richmond betrügen wollte, ist das richtig?«
»Ja.«
»Und die hat Ray später ebenfalls erschossen. Waren Sie auch wegen Katherine Wallace wütend auf ihn?«
»Zu dem Zeitpunkt nicht.«
»Aber davor waren Sie es.«
»Eigentlich nicht. Ein bisschen vielleicht. Ganz kurz.«
»Wie es aussieht, hat Ihre Wut jedes Mal fatale Folgen gehabt, Ms. Fitch.«
»Einspruch!«
»Einspruch stattgegeben.«
Und später dann, als er hinter seinem Tisch steht und mit den Papieren raschelt:
»Würden Sie sagen, Sie haben die Griffiths gerngehabt?«
»Ja.«
»Hat
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