Tief im Herzen: Roman (German Edition)
auf sein Bier. »Mein Vater hätte es gekonnt.« Als er wieder aufblickte, schmerzte sie der Ausdruck in seinen Augen. »Glauben Sie an die Heiligkeit eines Versprechens, das man jemandem am Sterbebett gibt?«
»Ja«, sagte sie sofort.
»An dem Tag, als mein Vater starb, habe ich ihm versprochen – wir haben ihm versprochen –, daß wir Seth bei uns behalten. Nichts und niemand wird mich dazu bringen, mein Wort zu brechen. Nicht Sie, nicht die Fürsorge, nicht ein Dutzend Cops.«
Die Situation sah anders aus, als sie erwartet hatte. Sie würde völlig umdenken müssen. »Ich würde mich gern setzen«, sagte Anna nach kurzem Nachdenken.
»Nur zu.«
Sie nahm am Tisch Platz. In der Spüle stand Geschirr, bemerkte sie, und in der Luft hing der schwache Geruch von angebranntem Essen. Daraus schloß sie, daß der Junge zu essen bekam. »Haben Sie vor, eine Vormundschaft zu beantragen?«
»Wir …«
»Sie, Mr. Quinn«, unterbrach sie. »Ich frage Sie, ob das Ihre Absicht ist.« Sie wartete und sah die Zweifel und das Widerstreben, die sich auf seinem Gesicht zeigten.
»Ja, vermutlich schon. Ja.« Gott helfe uns allen, dachte er. »Wenn es das ist, was Sie verlangen.«
»Beabsichtigen Sie, auf Dauer in diesem Haus zu leben, mit Seth zusammen?«
»Auf Dauer?« Das war vielleicht das einzige Wort, das ihm in seinem Leben richtig angst machte. »Jetzt muß ich
mich erst mal setzen.« Dann rieb er mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken, um ein wenig von dem Druck, den er dort spürte, wegzunehmen. »Himmel. Wie wär’s, wenn wir ›auf absehbare Zeit‹ sagen statt ›auf Dauer‹?«
Anna zweifelte nicht an seiner Aufrichtigkeit, hätte seinen Absichten Beifall gezollt. Aber … »Sie haben keinen Begriff davon, was Sie sich da aufhalsen.«
»Sie irren sich. Ich weiß es, und es macht mir eine Heidenangst.«
Sie nickte und bewertete die Antwort als einen Punkt zu seinen Gunsten. »Wie kommen Sie auf den Gedanken, ein besserer Vormund für einen zehnjährigen Jungen zu sein, einen Jungen, den sie nicht einmal zwei Wochen kennen, wie ich glaube, als erfahrene, bewährte Pflegeeltern?«
»Weil ich ihn verstehe. Ich war so wie er – oder zumindest ähnlich. Und weil er hierhergehört.«
»Lassen Sie mich Ihnen einige der größten Schwierigkeiten schildern, die sich Ihren Plänen in den Weg stellen werden. Sie sind ein alleinstehender Mann ohne festen Wohnsitz und ohne regelmäßiges Einkommen.«
»Ich habe doch dieses Haus hier. Ich habe Geld.«
»Auf wen wurde das Haus überschrieben, Mr. Quinn?« Sie nickte nur, als er die Brauen zusammenzog. »Ich vermute, Sie wissen es nicht.«
»Phillip weiß es bestimmt.«
»Schön für ihn. Und ich bin überzeugt, daß Sie Geld haben, Mr. Quinn, aber ich spreche von einer regelmäßigen Beschäftigung. Durch die Welt zu reisen und an Rennen teilnehmen, ist keine regelmäßige Beschäftigung.«
»Es macht sich aber bezahlt.«
»Haben Sie mal über das Risiko nachgedacht, durch Ihren Lebensstil ums Leben zu kommen oder verkrüppelt zu werden, jetzt, da Sie vorhaben, eine solche Verantwortung zu übernehmen? Glauben Sie mir, das Gericht wird es in Erwägung ziehen. Was ist, wenn Ihnen etwas zustößt bei Ihren Bemühungen, alle möglichen Rekorde zu brechen?«
»Ich weiß, was ich tue. Außerdem sind wir zu dritt.«
»Aber es lebt nur einer von Ihnen in diesem Haus, in dem auch Seth leben wird.«
»Und?«
»Und dieser eine hat keine Erfahrungen mit Kindern.«
»Und wenn wir alle drei mit von der Partie wären?«
»Wie bitte?«
»Wenn wir alle hier leben würden? Was ist, wenn meine Brüder hier einzögen?« Was für ein Schlamassel, dachte Cam, sprach jedoch weiter. »Was wäre, wenn ich mir einen …« Jetzt mußte er erst mal einen kräftigen Schluck Bier trinken, da ihm das Wort sonst im Halse steckenbleiben würde. »… einen Job suche?« brachte er heraus.
Sie starrte ihn an. »Sie wären bereit, Ihr Leben derart radikal zu verändern?«
»Ray und Stella Quinn haben mein Leben verändert.«
Ihr Gesicht wurde weich, und Cam blinzelte überrascht, als sie lächelte. Ihre Augen schienen noch dunkler und ausdrucksvoller zu werden. Als sie die Hand leicht auf seine legte, staunte er über das Gefühl, das ihn durchfuhr – es war nackte Begierde.
»Auf der Fahrt hierher habe ich mir gewünscht, ich hätte Ihre Eltern gekannt. Ich bin sicher, sie sind bemerkenswerte Menschen gewesen.« Dann zog sie ihre Hand wieder zurück. »Ich werde mit
Weitere Kostenlose Bücher